Adam Smith’s Moralphilosophie.
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gemein üblich, den sittlichen Forderungen im praktischen Lehen
durch den Hinweis auf ihre Ersprießlichkeit einen Nachdruck zu
verleihen, den die Berufung auf das Gefühl nicht in gleichem
Maße auszuühen vermag. Aber die theoretische Untersuchung
darf sich nicht dadurch bestimmen lassen, nun auch die thatsäch-
liche Entstehung und Entwicklung des Sittlichen sich auf diesem
Wege vollziehend zu denken.
Von einem für jene Zeit sehr bemerkenswerthen historischen Sinn
zeugt es, dass Smith den Einflüssen von Mode und Gewohnheit auf
die sittlichen Urtheile eine verhältnissmäßig eingehende Beachtung
schenkt. Er zieht zum Vergleich die ästhetischen Urtheile herbei
und zeigt, wie sehr dieselben je nach Zeit und Volk dem Wechsel
unterworfen sind; dabei ist er aber geneigt,, den ästhetischen Ge¬
schmack für viel wandelbarer zu halten als den moralischen, eine Er¬
scheinung, die er auf die Feinheit und Zartheit der Organisation des
Schönheitssinnes zurückführt, von dem sich die Billigungs- oder
Missbilligungsgefühle durch ihre stärkere Fundirung unterscheiden.
Allerdings muss bemerkt werden, dass Smith in demjenigen,
was er als »Mode« bezeichnet, weiter geht, als es der Sprachgebrauch
gestattet. Wenn der Prinz von Wales einen neuen Hut erfindet,
so ist das eine Mode; wenn aber ein genialer Künstler eine tief¬
gehende Umwälzung in der bestehenden Kunstanschauung hervor¬
ruft, so kann die Nachahmung derselben freilich auch zur Mode
werden; die Bedingungen jener Umwälzung selber müssen indessen
tief in geistigen Strömungen und Bedürfnissen der ganzen Zeit
begründet liegen. Ebenso kann in sittlicher Beziehung durch das
Vorbild einer tonangebenden Persönlichkeit Ungebundenheit und
ausschweifendes Leben in gewissen Kreisen eines Volkes Mode
werden, kann für nobel, groß, ritterlich gelten; aber die verschie¬
denen sittlichen Anschauungen ganzer Völker und Zeiten wurzeln in
tieferen Bedingungen, als dass sie durch den Ausdruck »Mode« be¬
zeichnet werden könnten.
Immerhin weisen die Smith’sehen Untersuchungen auch in
dieser unentwickelten Form auf ein fruchtbares Gebiet ethischer
Forschung hin; sie enthalten im Keime wichtige Specialgebiete
einer Wissenschaft, welche erst heute sich zu vollerer Blüthe zu
entwickeln beginnt — der Völkerpsychologie.