Volltext: Adam Smith‘s Moralphilosophie (6)

Adam Smith’s Moralphilosophie. 
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Gottheit sind, wozu dann die Mühe, ihre allmähliche Entstehung 
aus den sinnlichen Gefühlen nachzuweisen, wozu dann vor allem 
die Annahme eines so weltlichen Principe, als es der Beifall der 
Welt ist, zur Erklärung des Gewissens? 
Smith hat es hier versäumt, zwei Betrachtungen, deren jede 
für sich er richtig angestellt hat, in causale Beziehung zu bringen. 
Er hat einerseits das Sittliche rein empirisch aus Principien der 
menschlichen Organisation abgeleitet; er ist auch ferner von der 
psychologischen Entstehung der Religionsvorstellungen überzeugt; 
er weiß, dass die Gottesvorstellung heim Einzelwesen und beim 
einzelnen Volke je nach dem Standpunkt ihrer Reife verschieden 
ist, dass die Menschen von Natur einen Hang haben, »jenen ge- 
heimnissvollen Wesen, die in allen Ländern die Gegenstände gottes¬ 
dienstlicher Verehrung sind, alle ihre Empfindungen und Leiden¬ 
schaften beizulegen«1); also: »wie einer ist, so ist sein Gott« — 
diese Wahrheit hat auch Smith schon erkannt. 
Aber anstatt diesen Parallelismus zwischen der Entstehung der 
sittlichen und derjenigen der religiösen Vorstellungen deutlich her¬ 
vorzuheben, anstatt vielleicht noch einen Schritt weiter zu gehen 
und die letzteren speciell sich aus den sittlichen Gefühlen der 
Ehrfurcht und Pietät entwickelnd zu denken, anstatt dessen bleibt 
er an der populären, dem wirklichen Verlauf der Thatsachen ent¬ 
gegengesetzten Vorstellungsweise haften und erklärt Sittlichkeit für 
einen Befehl der Gottheit, trotzdem er von der Entstehung sowohl 
der ersteren als der letzteren eine empirisch-psychologische Ab¬ 
leitung gegeben hat. 
Diese Inconsequenz berührt indessen den wissenschaftlichen 
Kernpunkt der Theorie nicht. Wer aber, wie Oncken, auf solche 
Inconsequenzen, anstatt sie psychologisch zu deuten, den Haupt¬ 
nachdruck legt, der verfehlt natürlich jenen Kernpunkt zu Gunsten 
einer »Rettung«, die, mag sie auch noch so sehr nach dem Herzen 
des speciellen Schriftstellers sein, doch von einem anderen Stand¬ 
punkte aus nicht allein als ein unnöthiges, sondern auch als ein 
die wissenschaftliche Bedeutung und Originalität des Denkers schä¬ 
digendes Unternehmen angesehen werden muss. 
1} I S. 369.
	        
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