Volltext: Adam Smith‘s Moralphilosophie (6)

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Johannes Schubert. 
ihm sonst zur Erreichung dieses Zwecks ein zuverlässigeres Organ 
mitgegehen als die Vernunft, etwa einen Instinct, wie ihn die 
Thiere haben. Wir haben gesehen, dass Smith als vorurteils¬ 
freier Empiriker einen solchen Instinct ohne weiteres annimmt, 
während Kant daran durch jenen Vemunftstolz gehindert wird, 
der die höchste specifisch menschliche Erscheinung auch der Wir¬ 
kung keines anderen Organs zuzuschreiben vermag, als desjenigen, 
durch welches der Mensch sein charakteristisches Unterscheidungs¬ 
merkmal von den Thieren erhält — der Vernunft. Nun haben 
wir aus Hume’s treffenden Bemerkungen gesehen, was es mit dem 
Begriff der Vernunft in der Moral eigentlich auf sich hat ; es kann 
uns also heute nicht weiter schwer fallen, eine Hypothese abzu¬ 
lehnen, die ein wenn auch noch so erhabenes subjectiv-psycholo- 
gisches Postulat im Widerspruch mit der Erfahrung zu befriedigen 
sucht, und dafür einer solchen unsere Anerkennung zu Theil werden 
zu lassen, welche wie die Smith’sehe danach strebt, alle That- 
sachen des speciellen Erfahrungsgebietes in einen möglichst wider¬ 
spruchslosen Zusammenhang zu bringen. Noch einen Vorzug hat 
eine solche Theorie vor derjenigen Kant’s: sie verhindert die Ver¬ 
suche, das Sittliche als etwas hinzustellen, das eventuell über¬ 
wunden werden müsse — Versuche, welche ganz erklärlich und 
recht wohl durchführbar sind, wenn man die Kant’sehe Definition 
als die einzig richtige und mögliche gelten lässt. 
Kehren wir indessen von unserem Vergleich, der ein Thema 
für sich bilden würde, und der jedenfalls anders als derjenige 
Oncken’s ausfallen müsste, zur Smith’schen Theorie zurück. 
Es ist begreiflich, dass bei der Untersuchung der Tendenz der 
Affecte einem Beobachter wie Smith ein Umstand nicht entgehen 
konnte, der vielen Moralphilosophen Schwierigkeiten gemacht hat, 
nämlich die Thatsache, dass, obwohl theoretisch sicherlich nur der 
Gesinnung, d. h. der guten oder schlechten Absicht Loh und Tadel 
gebührt, dennoch im praktischen Leben die wirklichen Folgen einer 
Handlung das Hauptmaß der Beurtheilung abgeben. 
Und allerdings decken sich Absicht einer Handlung und that- 
sächliche Folgen derselben im wirklichen Lehen noch viel weniger, 
als es Smith selber zugesteht. Sowohl nach Seiten des Verdienstes 
als des Missverdienstes schießen die Handlungen unendlich oft über
	        
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