Volltext: Adam Smith‘s Moralphilosophie (6)

576 
Johannes Schubert. 
beruhen auf jener Art sittlicher Anstrengung, welche erforderlich 
ist, um den Sympathieaffect dem Stärkegrade des eigentlichen Affects 
nahe zu bringen, die letzteren auf jener anderen Anstrengung, 
den ursprünglichen Affect der Stimmung des Zuschauers nahe zu 
bringen. 
Hierbei ist nun freilich nicht recht ersichtlich, weshalb Smith 
trotz des soeben ausgesprochenen Grundsatzes, dass der Grad der 
Sympathie des Zuschauers die Norm für die Schicklichkeit von 
Affect oder Handlung abgebe, bei dieser Gelegenheit erklärt, dass 
viele Affecte und Handlungen auch dann als schicklich und sogar 
als in hohem Grade tugendhaft bezeichnet werden müssten, wenn 
sie jene Linie nicht zu erreichen vermöchten, und zwar dies in 
dem Falle, wo ein so hoher Grad von Selbstbeherrschung nöthig 
ist, dass eine auch nur geringe Annäherung an jene Schicklich¬ 
keitslinie schon das größte menschliche Kraftmaß erfordere und 
dadurch zur Bewunderung und zum Lobe hinreiße. Aber in 
solchen außerordentlichen Fällen schnellt auch sicherlich der Sym¬ 
pathieaffect mächtig in die Höhe, so dass der proportionale Cha¬ 
rakter des Urtheilsgrundes auf der ganzen Affectenleiter von der 
einfachen Schicklichkeit bis hinauf zur höchsten Tugendhaftigkeit 
gewahrt werden kann. 
Nachdem das Princip gefunden, welches als Werthmesser der 
Affecte angesehen werden muss, handelt es sich zunächst um eine 
Analyse und Classification dieser Affecte selber, wie sie sich durch 
Anlegen jenes Maßstabes ergibt. Hierbei unterscheidet Smith 
zunächst als zwei ganz verschiedene Klassen die Affecte des Körpers 
und diejenigen der Einbildungskraft. Die Sympathie mit ersteren 
ist gering; von körperlichen Begierden verlangt der Zuschauer 
Mäßigkeit, von körperlichen Schmerzen Standhaftigkeit, und die 
starke Sympathie, welche in uns z. B. ein Philoctet, ein Hercules 
erregen, rührt zum allergrößten Theile von den begleitenden Phan- 
tasieaffecten her, wie sie bei jenem durch die fürchterliche Einsam¬ 
keit, bei diesem durch die Voraussicht des nahen Todes entfacht 
werden. Die geringe Sympathie mit körperlichem Schmerz erklärt 
Smith aus der Unfähigkeit, sich denselben vorzustellen, falls nicht 
gerade ein äußerer Anblick von Verwundungen etc. hinzukommt; 
indessen führt auch hier die Gewohnheit bald eine völlige Ab-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.