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Johannes Schubert.
beruhen auf jener Art sittlicher Anstrengung, welche erforderlich
ist, um den Sympathieaffect dem Stärkegrade des eigentlichen Affects
nahe zu bringen, die letzteren auf jener anderen Anstrengung,
den ursprünglichen Affect der Stimmung des Zuschauers nahe zu
bringen.
Hierbei ist nun freilich nicht recht ersichtlich, weshalb Smith
trotz des soeben ausgesprochenen Grundsatzes, dass der Grad der
Sympathie des Zuschauers die Norm für die Schicklichkeit von
Affect oder Handlung abgebe, bei dieser Gelegenheit erklärt, dass
viele Affecte und Handlungen auch dann als schicklich und sogar
als in hohem Grade tugendhaft bezeichnet werden müssten, wenn
sie jene Linie nicht zu erreichen vermöchten, und zwar dies in
dem Falle, wo ein so hoher Grad von Selbstbeherrschung nöthig
ist, dass eine auch nur geringe Annäherung an jene Schicklich¬
keitslinie schon das größte menschliche Kraftmaß erfordere und
dadurch zur Bewunderung und zum Lobe hinreiße. Aber in
solchen außerordentlichen Fällen schnellt auch sicherlich der Sym¬
pathieaffect mächtig in die Höhe, so dass der proportionale Cha¬
rakter des Urtheilsgrundes auf der ganzen Affectenleiter von der
einfachen Schicklichkeit bis hinauf zur höchsten Tugendhaftigkeit
gewahrt werden kann.
Nachdem das Princip gefunden, welches als Werthmesser der
Affecte angesehen werden muss, handelt es sich zunächst um eine
Analyse und Classification dieser Affecte selber, wie sie sich durch
Anlegen jenes Maßstabes ergibt. Hierbei unterscheidet Smith
zunächst als zwei ganz verschiedene Klassen die Affecte des Körpers
und diejenigen der Einbildungskraft. Die Sympathie mit ersteren
ist gering; von körperlichen Begierden verlangt der Zuschauer
Mäßigkeit, von körperlichen Schmerzen Standhaftigkeit, und die
starke Sympathie, welche in uns z. B. ein Philoctet, ein Hercules
erregen, rührt zum allergrößten Theile von den begleitenden Phan-
tasieaffecten her, wie sie bei jenem durch die fürchterliche Einsam¬
keit, bei diesem durch die Voraussicht des nahen Todes entfacht
werden. Die geringe Sympathie mit körperlichem Schmerz erklärt
Smith aus der Unfähigkeit, sich denselben vorzustellen, falls nicht
gerade ein äußerer Anblick von Verwundungen etc. hinzukommt;
indessen führt auch hier die Gewohnheit bald eine völlige Ab-