Adam Smith's Moralphilosophie.
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anderes Gefühl von seiten des Beurtheilten selber hinzukommen,
um die Entstehung jener Kraft zu erklären. Für die Pflicht der
Concentration des Sympathieaffects hat allerdings Smith überhaupt
keine Ableitung gegeben, aber hier ist es ohne weiteres klar, dass
ein Recht zu urtheilen nur dann vorhanden sein kann, wenn ihm
die Pflicht zur Seite geht, alles das vorher zu erfüllen, was allein
ein gerechtes Urtheil herbeizuführen vermag.
Es wird indessen Niemand entgangen sein, dass Smith in dem
Augenblicke, wo er für den unparteiischen Zuschauer selber eine
Norm aufstellt, wo er, wie wir sogleich sehen werden, auf jenes
Hinaufstimmen des Sympathieaffects sogar eine besondere Klasse
sittlicher Erscheinungen gründet, den Boden des rein passiven
Sympathiebegriffs aufgibt und ihn mit einem anderen Princip ver¬
mischt, mögen wir dieses nun mit Hutcheson Wohlwollen oder
mit Kant]) Humanität nennen. In dem Kapitel »of the amiable
and respectable virtues« (S. 41) macht sich jene Begriffsvermengung
ganz besonders bemerklich. Der sympathisirende Zuschauer schlägt
hier plötzlich selber in einen sittlich Handelnden um, und es ist
äußerst charakteristisch, wie in diesem Augenblicke er sofort nun
seinerseits der Gegenstand einer Beurtheilung wird: »Wie liebens¬
würdig ist uns derjenige, in dessen sympathetischem Herzen alle
Empfindungen deijenigen wiederzuhallen scheinen, mit denen er
verkehrt«; (S. 41) »wie widerwärtig ist uns dagegen der Unempfind¬
liche« etc. Es geht hieraus zur Genüge hervor, wie nothwendig
zum Yerständniss der Theorie die oben geforderte Auseinander¬
haltung beider Begriffe ist.
Die beiden Klassen von Tugenden, welche Smith aus jenem
Heraufstimmen des sympathetischen und dem Herabstimmen des
ursprünglichen Affects ableitet, sind nun die liebenswürdigen
(amiable) und die erhabenen (respectable) Tugenden. Die ersteren
1) Kant unterscheidet (wie auch Oncken bemerkt hat) sehr genau die
blos passive sympathia moralis von der humanitas, wenn er in der Met. d. Sitten
(Hartenstein 1838. Y 294) erklärt: Mitleid und Mitfreude sind zwar sinnliche
Gefühle einer (darum ästhetisch zu nennenden) Lust oder Unlust an dem Zu¬
stande des Vergnügens sowohl, als Schmerzens anderer .... aber diese als
Mittel zur Beförderung des thätigen und vernünftigen Wohlwollens zu ge¬
brauchen, ist noch eine besondere .... Pflicht, unter dem Namen der Mensch¬
lichkeit (humanitas).
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