Volltext: Adam Smith‘s Moralphilosophie (6)

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Johannes Schubert. 
verschiedene Arten des Urtheils sind es demgemäß, welche sich 
aus dieser doppelten Betrachtungsweise für den Zuschauer ergehen : 
Auf das — nach seinem Gefühl — richtige oder falsche, ange¬ 
messene oder unangemessene Verhältniss des Affects zur erregenden 
Ursache gründet sich sein Urtheil über die Schicklichkeit oder Un¬ 
schicklichkeit desselben, während das Urtheil über Verdienst und 
Missverdienst von der wohlthätigen oder schädlichen Wirkung, die 
der Affect hervorbringt oder hervorzubringen sucht, abhängt. Von 
den Philosophen ist, wie Smith richtig bemerkt, jenes Verhältniss 
zur Ursache oft übersehen und der Hauptnachdruck auf die Ten¬ 
denz der Affecte gelegt, während das gewöhnliche Lehen darin 
richtiger zu verfahren pflegt. 
Der Begriff der Schicklichkeit (propriety) ist es also, dem 
Smith den ersten Theil seiner Theorie widmet. Und hier führt 
ihn nun seine Untersuchung zu den ersten beiden Normen, wie sie 
sich für beide Theile unmittelbar aus der Natur des Urtheils er¬ 
gehen: für den Zuschauer das Gebot einer möglichst eingehenden 
Concentration des Mitgefühls auf die Lage des Anderen, ein Hinauf¬ 
schrauben des Sympathieaffects annähernd zur Höhe des ursprüng¬ 
lichen; für den im Affect stehenden das Gebot, nun seinerseits die 
Stärke desselben möglichst auf gleiche Höhe mit dem Sympathie- 
affect zu bringen. Da freilich eine Uebereinstimmung beider Affecte 
in den meisten Fällen nicht möglich ist, so muss man auf einen 
Einklang verzichten und wenigstens einen Zusammenklang herbei¬ 
zuführen suchen — »das ist alles, was wir brauchen und ver¬ 
langen«. 
Die imperativischen Normen, »welche Smith somit rein em¬ 
pirisch ableitet, könnten demnach in jener durch Kant’s katego¬ 
rischen Imperativ nahegelegten Weise etwa so formulirt werden: 
»Handle und fühle so, dass der unparteiische Zuschauer mit dir zu 
sympathisiren im Stande ist«, und: »Sympathisire so mit deinem 
Nächsten, dass dadurch die Gerechtigkeit deines Urtheils gewähr¬ 
leistet wird«. Dabei muss aber wohl beachtet werden, dass jene 
erste Norm zunächst nur eine von dem unparteiischen Zuschauer 
geforderte ist ; ihre verpflichtende Kraft für den im Affect stehenden 
ist bis jetzt noch durchaus nicht ohne weiteres klar; es muss, wie 
wir bei Gelegenheit des dritten Theiles sehen werden, noch ein
	        
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