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gegenüberstehen; im letzteren Falle dagegen ist der Standpunkt
des vom Affect unmittelbar Betroffenen ein anderer, als derjenige
des nur durch Sympathie in Miterregung versetzten. Die letzteren
Fälle sind es nun, auf welche die sittlichen Urtheile ihre Anwen-
dung finden.
In Folge jener Verschiedenheit des Standpunktes muss zwischen
dem Original- und dem Sympathieaffect eine Verschiedenheit auch
der Stärke nach stattfinden; es entsteht eine Differenz zwischen
beiden, welche bei dem Zuschauer entweder mit einem Lust- oder
Unlustgefühl verbunden ist. Je kleiner die Differenz ist, je mehr
also der Affect des Zuschauers mit dem wirklichen Affect zu sym-
pathisiren im Stande ist, um so größer wird das durch Gefühls- .
consonanz hervorgerufene Billigungsgefühl bei diesem
Zuschauer sein müssen; je größer diese Differenz, je weniger also
der Zuschauer den Affect des Anderen mitzufühlen im Stande ist,
um so größer wird das durch Gefühlsdissonanz hervorge¬
rufene Mi ssbilligungsurtheil sein müssen.
So werden also sittlicher Beifall und Tadel, noch bei Hutche¬
son »Ideen, die nicht weiter erklärt werden können«1), bei Hume
einfache qualitativ bestimmte Lust- und Unlustgefühle, von Smith
aus Consonanz und Dissonanz von Original- und Sympathieaffect
hergeleitet. Dieser letztere ist das einzige Maß, nach welcheiq
ich den fremden Affect zu beurtheilen im Stande bin ; »ich habe
keine andere Richtschnur meines Urtheilens und kann keine andere
haben«. (S. 28.)
Um indessen ein vollgültiges Urtheil für den unparteiischen
Zuschauer zu Stande kommen «zu lassen, muss noch ein anderer
wichtiger Factor hinzukommen : die Kenntniss sowohl der Ursache,
welche den Affect erregt, als auch der Wirkung'^ zu welcher er
tendirt. Wohl können sich gewisse Affecte, so besonders Freude
und Trauer durch den einfachen Anblick mittheilen; eine Gesell¬
schaft Fröhlicher stimmt unmittelbar fröhlich, auch wenn man
nicht den Grund ihrer Freude kennt, und umgekehrt; indessen der
wirkliche Werth oder Unwerth eines solchen Affectes lässt sich erst
bestimmen, wenn jene beiden Gesichtspunkte hinzutreten. Zwei
1) Untersuchung über unsere Begriffe etc. S. 111.
Wundt, Philos. Studien. VI.
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