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Johannes Schubert.
mit Rücksicht auf das andere studirt und verstanden werden könne1).
Er ist der Ansicht, dass die in der Moralphilosophie und National¬
ökonomie aufgestellten Principien der Sympathie und des Egoismus
Resultate einer bewussten wissenschaftlichen Abstraction seien, deren
jedes für sich betrachtet zwar nur den halben Menschen umspanne,
deren Zusammenwirken im concreten Falle jedoch die Phänomene
des menschlichen Handelns in ausgezeichneterWeise zu erklären ver¬
möge. Die Moralphilosophie zeige den Menschen aus rein sittlichen,
die Nationalökonomie aus rein eigennützigen Motiven handelnd;
das Zusammenwirken beider ergebe das reale Leben als eine Re¬
sultante, die durch die wissenschaftliche Analyse in ihre Compo-
nenten zerlegt werden müsse.
Nun geht allerdings aus dem von Dugald Stewart mitge¬
teilten Lehrplan, dem Smith als Professor in Glasgow folgte,
hervor, dass seine akademischen Vorlesungen über Moralphilosophie
ein weit größeres Gebiet umfassen, als die von ihm herausgegebene
»Theorie der sittlichen Gefühle«. Jene Vorlesungen zerfielen in die
vier Abtheilungen:
1) der natürlichen Theologie;
2) der eigentlichen Moralphilosophie *
3) der Rechtsphilosophie;
4) der Nationalökonomie; y
er hat also die letztere schon von Anfang an gleichzeitig mit der
Ethik in den Bereich seiner Studien gezogen, und die beiden der
Oeffentlichkeit übergebenen Werke sind nur die erweiterte und
systematische Ausführung zweier Nummern seines umfassenderen
akademischen Programms. Für das Verständniss von Smith’s phi¬
losophischer Gesammtanschauung müssen also selbstverständlich
beide Werke zu Rathe gezogen werden, ja, für diesen Zweck hat
vielleicht die Moralphilosophie noch den Vorzug vor der Volks¬
wirtschaftslehre; die Behauptung indessen, als ob jedes Werk für
sich ohne das andere gar nicht richtig verstanden werden könne,
ist als weit übertrieben zurückzuweisen. Es sind beides in sich
abgeschlossene Werke, die zwar so manches innere geistige Band
1) Geschichte der Civilisation, übers, von Rüge, II 422.