Adam Smith’s Moralphilosophie.
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scheinbar selbstloseste Regung in Eigennutz aufzulösen, eine ebenso
energische Zurückweisung erforderten.
Mit David Hume endlich, dem unmittelbaren Vorgänger
Smith’s, vollzieht sich jener Schritt zum vollendeten ethischen
Subjectivismus, wie ihn eine von allen metaphysischen und reli¬
giösen Voraussetzungen befreite, auf rein empirisch-psychologische
Analyse gegründete Gefühlsmoral schließlich thun musste.
In Shaftesbury’s optimistischem Pantheismus klang doch
noch etwas von nicht völlig überwundenem Intuitionismus, von
einer den Dingen an und für sich anhaftenden Schönheit oder
Güte nach, welche dann von dem ästhetischen oder moralischen
Gefühl einfach als solche empfunden wurde; bei Hume liegt die
Thatsache »gut« oder »schlecht« nicht im Object, sondern einzig
und allein, in uns1); bei ihm dreht sich die Welt der sittlichen
Erscheinungen um das moralische Gefühl des Einzelnen, etwa wie
bei Kant die Welt der sinnlichen Erscheinungen um den form¬
gebenden Intellect; aber während Hume die völlige Isolirtheit in
sittlich praktischer Beziehung, in welche er seinen Menschen setzt,
nicht die geringste Sorge macht, lässt sich Kant, welchen der
Genius seines theoretischen Denkens diese Isolirung in weit radi-
calerer Weise durchführen ließ, zu der — freilich durch die gran¬
diosen Anstrengungen, sie zu verdecken, immer noch bewunderns-
erthen — Inconsequenz hinreißen, diese Isolirung in sittlich¬
praktischer Beziehung wieder aufzugeben und durch eine mystische
Verbindung des Menschen mit dem Urgründe der Welt die
unbedingt verpflichtende Kraft des Sittlichen wiederherzustellen,
welche ihm durch jene empirisch - naturalistischen Ableitungen
völlig gelockert zu sein schien.
Es ist hochinteressant, bei dieser Gelegenheit zu verfolgen, wie
diese beiden auf völlig entgegengesetzten ethischen Standpunkten
1) Treatise of human nature. Ausg. Green and Grose, London 1874.
Book III S. 244: »Ich kann einen Mord nach allen Seiten hin zergliedern und
finde Leidenschaften, Gedanken, Willensimpulse, nur kein Laster«. Ferner
ibid. 302: »Der Unterschied von gut und böse gründet sich auf die Empfindung
von Lust und Unlust, welche von der Betrachtung einer gewissen Gesinnung
und eines gewissen Charakters entstehen«; daraus folgt dann, »dass in jedem
Charakter gerade so viel von Tugend und Laster ist, als ein Jeder hineinlegt,
und dass man sich in diesem einzelnen Fall unmöglich irren kann«.