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Götz Martius.
inneren Zusammenhänge mit der Annahme der Reflexartigkeit auch
der verwickelten Bewusstseinserscheinungen. Zwar müssen alle Be¬
wusstseinsvorgänge, wenn sie Reflexe sind, psychophysisch bedingt
sein, ihrem Wesen nach in physiologischen Processen bestehen (es
wäre dies der vulgäre Materialismus mit seinem inneren Wider¬
spruch) ; aber keineswegs muss man sie als nicht durch Gehirn-
processe bedingt ansehen, falls man ihnen die Eigenschaft der
Reflexartigkeit bestreitet. Die durchgängige Bedingtheit der psychi¬
schen Processe durch physische ist ein heute kaum noch bestrittener
Satz. Es sind mit ibm die verschiedensten metaphysischen Grund¬
anschauungen vereinbar. Ihn anerkennen heißt nicht die psychi¬
schen Erscheinungen für unwesentlich erklären; und die Betonung
der Bedeutung des Psychischen ist nicht gleichbedeutend mit einer
Bekämpfung des Satzes von der durchgängigen körperlichen Bedingt¬
heit des Psychischen. Aber alle diese Dinge mögen hier bei Seite
bleiben.
Für die muskuläre Reaction hätten wir also als die allgemeine
Annahme der bisherigen Autoren über den Gegenstand die Ansicht
festgestellt, dass sie ein Gehimreflex sei. Ueber ihre Anwendbarkeit
standen sich die Behauptungen Wundt’s u. Münsterberg’s gegen¬
über, indem jener sie auf die einfachen Sinneseindrücke einschränkt,
dieser sie auch für complicirte Wahlvorgänge für zulässig erklärt.
Es liegt in der Natur der Sache, dass wir bei einer neuen Unter¬
suchung des Gegenstandes zuerst die letzte Behauptung einer Prü¬
fung zu unterziehen haben. Denn ehe nicht die Anwendbarkeit
der muskulären Reaction bei verwickelten psychischen Processen
nachgeprüft ist, wird jede Untersuchung über ihre eigentliche Natur
unmöglich sein.
I.
Dass es von vornherein keineswegs wahrscheinlich war, dass
die muskuläre Reaction sich auch bei zusammengesetzten geistigen
Vorgängen anwenden ließ, ist bereits hervorgehoben; es war dies
um so unwahrscheinlicher, je mehr man sie als Gehirnreflex aufzu¬
fassen geneigt war. Aber auch die Frage musste von vornherein
unsicher erscheinen, ob die verkürzte Reactionsweise nicht Ver¬
suchsvorschriften enthält, die bei verwickelten Wahlhandlungen ihrer