Ueber die muskuläre Reaction und die Aufmerksamkeit.
199
für die Auffassung der einfachen muskulären Reaction als Reflex¬
vorgang beigebrachten Gründe nicht absolut bindend sind. Der Ver¬
such einer anderen Erklärung wird um so berechtigter erscheinen.
Ich schicke derselben eine Reihe von Versuchen voraus, die
zum mindesten den Werth einer vorbereitenden Aufklärung über
die Sache beanspruchen können. Es sind Versuche, bei denen,
wie es in der Psychologie Vorkommen kann, die eigene Beobach¬
tung im Verlaufe derselben eine noch deutlichere Sprache redet
als die zahlenmäßigen Resultate, welche man dem Leser bieten
kann. Es sind einfache muskuläre und sensorielle Reactionen auf
einen Hammerschlag mit und ohne vorausgehendes Signal (Glocken¬
schlag), durchweg nach der exacten Methode L. Lange’s aus¬
geführt1), also unter Ausschluss jeder Störung und bei Trennung der
Versuchsperson und des Experimentirenden in verschiedene Räume.
Neu ist nur die Bestimmung für den Reagirenden, nach einem
jedesmaligen Einzelversuche seine eigene Beobachtung über die
Richtung seiner Aufmerksamkeit im Augenblicke des Reagirens
sowohl als über den Erfolg und die scheinbare Länge der Reactions-
zeit aufzuschreiben2). Die Notizen, welche also ohne alle Kenntniss
der Versuchsresultate unmittelbar nach der Reaction gemacht sind,
stehen unten in den Tabellen zur bequemen Vergleichung neben
den betreffenden Zahlen, auf welche sie sich beziehen. Es war die
Absicht, auf diese Weise die Selbstbeobachtung zu schärfen und
womöglich einen Aufschluss über das Zutrauen, welches das eigene Be¬
wusstsein in solchen Fragen zu genießen würdig ist, herbeizuführen.
Der erste derartige Versuch wurde am 20. Januar gemacht.
Die unten folgenden Tabellen sind chronologisch geordnet und be¬
ginnen mit dem 21. Januar. Es sind überhaupt die [ersten Ver¬
suche mit Bemerkungen, welche der Reagent dieses Tages (v. Pr.)
gemacht hat. Es war also keinerlei Einübung zu dem Zwecke
vorhergegangen. Am Tage vorher hatte Verfasser reagirt. Gleich
der erste Versuch überraschte durch die Sicherheit des eigenen
Urtheils über die Reaction.
1) Vgl. L. Lange, a. a. O. Bd. IV, S. 481.
2) Ein ähnliches Verfahren ist bereits von Exner angewandt worden; vgl.
Sigm. Exner, Experimentelle Untersuchung der einfachsten psychischen Pro¬
cesse in Pflüger’s Archiv, Bd. VII, S. 644 ff.
Wundt, Philos. Studien. VI.
14