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Götz Martius.
Versuche im hiesigen Laboratorium mit ganz verschiedenartigen Per¬
sonen, geübten und ungeübten, in der Psychologie erfahrenen und
gänzlich unerfahrenen, haben mir stets und überall das Vorhanden¬
sein des Zeitunterschiedes bestätigt.
Eine andere Frage ist (abgesehen von der Größe des Unter¬
schiedes) die Erklärung der Thatsache und der Umfang ihrer Gül¬
tigkeit. L. Lange sieht den Unterschied der beiden Arten der
Reaction als einen qualitativen an, nicht blos insofern die Aufmerk¬
samkeit in beiden Fällen verschieden ist, was ja auch ein qualita¬
tiver Unterschied ist, sondern auch in Bezug auf den ganzen Reac-
tionsvorgang selbst. Er nimmt das Bestehen von zwei verschiedenen
Arten des Reactionsvorganges an1). Die sensorielle Reaction ent¬
spricht nach ihm dem hergebrachten Reactionsschema, nach welchem
der ganze Vorgang in die folgenden fünf Abtheilungen zerfällt:
1) centripetale Leitung vom Sinnesorgan bis zum Gehör, 2) Percep¬
tion oder Eintritt in das Blickfeld des Bewusstseins, 3) Apper¬
ception oder Eintritt in den Blickpunkt, 4) Willenserregung und
Auslösung der registrirenden Bewegung, 5) centrifugale Leitung vom
Centrum bis zu den reagirenden Muskeln und AnwachseA' der Energie
in denselben. Geht der Reaction und dem Reize, auf den reagirt
werden soll, ein die Aufmerksamkeit vorbereitender Schall voraus,
sq nimmt Lange an, dass dann die Zeit der Apperception (3) gleich
Null wird. Die Vorbereitung der Aufmerksamkeit besteht ihm eben
darin, dass der Reactionsreiz, sobald er percipirt wird, auch zu¬
gleich appercipirt wird; er nennt dies willkürlich vorbereitete
passive Apperception.
Bei der muskulären Reactionsweise fällt nun auch die Willens¬
erregung (4) fort ; es bleiben von den Theilen des ganzen Schemas
nur 1, 2 und 3 übrig. Die muskuläre Reaction ist ein Hirnreflex
(S. 500); er unterscheidet sich von einem gewöhnlichen Rücken¬
marksreflex nur dadurch, »dass dem ganzen Acte jedesmal eine
Willenserregung vorangehen muss (vorbereitende willkürliche In¬
nervation der auszuführenden Reactionsbewegung)«. Ob die Per¬
ception als unbewusster Vorgang, der nur nachträglich zur Apper¬
ception führt, von Lange aufgefasst wird, geht aus seinen
1) Vergl. Wundt, Philos. Studien IV, S. 497.