Der mathematische Zahlbegriff und seine Entwicklungsformen. 105
der griechischen Mathematik tritt dann an die Stelle der äußeren
Beziehungssubstrate der allgemeinere, stellvertretende Begriff der
Größe. Allerdings scheinen die Definitionen Euklid’s von Einheit
und Zahl*) schon einen mehr formalen Charakter an sich zu tragen.
Erwägt man indessen, dass in seiner ganzen (im siebenten Buch
der Elemente enthaltenen) Arithmetik die Zahl niemals selbständig
auftritt, sondern überall geometrisch, in der Hegel als Strecke inter-
pretirt wird, bedenkt man ferner, dass diese Anlehnung an geo¬
metrische Vorstellungen sogar zu zwei verschiedenen Arten der
Multiplication führt, deren erste als die Vervielfachung einer Strecke
erscheint1 2), während die zweite, das Product von zwei und drei
Strecken, als Rechteck, resp. senkrechtes gerades Parallelepiped ge¬
deutet wird3), und berücksichtigt man endlich den Umstand, dass
alle Beweise des Buches sich niemals der formalen Rechnungsvor¬
schriften ernstlich bedienen, sondern immer mit Strecken operiren,
so muss man nothwendig zu dem Schlüsse gelangen, dass die Zahl
hei Euklid — und seinen Standpunkt darf man ja auch für den
des Alterthums ansehen — noch nicht formal, sondern nur in Be¬
gleitung des Größenhegriffs vorkommt. Freilich deckt sie sich nicht
unmittelbar mit diesem, aber sie ist doch durchaus von ihm ab¬
hängig, mit anderen Worten: sie ist nichts weiter, als das Maß der
Größe. Euklid’s Einheit bedeutet daher in Wahrheit doch immer
nur eine Größeneinheit, welche der Rechnung zu Grunde gelegt
wird und in einer anderen Größe, wenn diese eine Zahl darstellen
soll, vollständig aufgehen muss. In der Thàt sind denn auch alle
Rechenoperationen, wie sie Euklid im siebenten Buch der Elemente
entwickelt, lediglich basirt auf die Idee der Messung von Größen
aneinander und auf die dabei auftretenden Zahl-, d. h. Ma߬
beziehungen, wie ja überhaupt dieses Buch im wesentlichen eine
1) MovoU êoxiv, v.a!f i)v Zxaaxov töW ôvtibv Sv Mfeiai. Elementa VII a und
Api&fiàî ôè tô h. [Aovâhajv sofxetfiEVov -Xrjfto?, ebenda ß'.
2) ’Aptfipios dpiftpiov TtoXXociXasidCeiv P.éyerai, ôxav, 8sat eiolv év aùxôj piovocSej,
ToaccoTtms utmeDij) 8 noXXairXaoiaï<5p.evoî '/.ai fé-/rjTai xt; ebenda it’.
3) "Oxav ôè ouo àpiDjxot xroXXaixXaaiofsavxst àXXrjXou; Tioimaf xiva, 6 yevittevoç
êxtiTOSoî xaXeîxai, zXeopal 8è aùxoû of itoXXauXaotäaavxej àXXr|Xouç œpi9p.ot und : “Oxav
ôè xpeî{ àpi&aot iroXXomXaotàtsavxeî àXXfjXouç roirâai xiva, é Y£vôfi£voî tsrepeét éoxiv,
irXeupal ôè oùxoû of TtoXXomXaaicfaavxeî àXX-f]Xouî âpiDuoî. Diese beiden Definitionen
stehen ebenfalls im siebenten Buch als i£ und irj’.