Volltext: Der mathematische Zahlbegriff und seine Entwicklungsformen, Fortsetzung (6)

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Waller Brix. 
ganz ohne Glück, die realistische Betrachtungsweise durch eine 
gründlichere Auffassung zu retten. Die Bestrebungen in dieser 
Richtung sind im allgemeinen getragen von den mathematischen 
Ideen des Rationalismus. 
Eine Vertiefung der erwähnten Anschauungen konnte nun 
eigentlich höchstens dadurch erreicht werden, dass man den Rea¬ 
lismus dem bisher maßgebenden empirischen Standpunkt entzog. 
In dieser Beziehung hatten schon die Pythagoreer Fortschritte ge¬ 
macht, indem sie der allgemeinen Zahlenlehre eine selbständige, 
freilich völlig der Wirklichkeit immanente Bedeutung beimaßen. 
In gleicher Richtung wirkten der transcendente Realismus Plato’s 
und der immanente des Aristoteles, ohne indessen gerade an dem 
Zahlbegriff viel zu ändern. Der Erste, welchem wirklich auch eine 
eingehender durchgeführte Auffassung zugesprochen werden muss, 
war Descartes. Sein apriorischer Realismus lässt die mathema¬ 
tischen Begriffe nicht mehr durch Abstraction aus der Anschauung 
entstehen, sondern spricht sie als ursprünglichen Besitzstand von 
Ideen dem menschlichen Geiste zu. Diese Auffassung bietet in der 
That den doppelten Vortheil, dass sie einmal nicht mit den Wider¬ 
sprüchen zu kämpfen braucht, welche die nachträgliche Veran¬ 
schaulichung dem Zahlbegriff einimpft, andererseits aber auch eine 
freie selbständige Entwickelung der Zahlbeziehungen allein aus 
ihrem Begriff heraus gestattet. Von dem letzten Vortheil hat nun 
Descartes allerdings noch weniger Gebrauch gemacht, wie von 
dem ersten. Denn während er die Zahlen, welche als solche zu 
den »klaren Ideen« gehören, bald rein begrifflich fasst, gleich den 
racines fausses und imaginairesl), bald aber auch — und hierin 
besteht ja seine Hauptbedeutung für die Mathematik — mit den 
1) Mais souvent il arrive que quelques unes de ces racines sont fausses ou 
moindre que rien; comme si on suppose que x désigne aussi le défaut d’une 
quantité qui soit 5, on a x + 5 = 0. Descartes: La Géométrie, Livre troisième 
(1637 erschienen) in der Cousin’schen Gesammtausgabe, V, Paris 1824, p. 389, 
in der Separatausgabe: Paris 1886, p. 56. Für das Imaginäre kommt die Stelle 
in Betracht : Au reste tant les vraies racines que les fausses ne sont pas toujours 
réelles, mais quelquefois seulement imaginaires, c’est-à-dire qu’on peut bien 
toujours en imaginer autant que j’ai dit en chaque équation, mais qu’il n’y a quel¬ 
quefois aucune quantité qui corresponde à celles qu’on imagine. A. a. O. bei 
Cousin V, p. 398, in der Separatausgabe p. 63.
	        
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