Untersuchungen ücer die Auffassung von Tondistanzen.
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nur wenig verschiedenen Distanzen in der Weise eingewirkt hat,
dass die höhere Distanz Mv H im allgemeinen in ihrer Größe über¬
schätzt, also eine an sich kleinere Distanz vermöge der größeren
Empfindungsstärke ihrer Töne, namentlich des Tones H, mit einer
an sich größeren, in Folge der tieferen Lage ihrer Töne aber mit
geringerer Empfindungsstärke ausgestatteten als gleich heurtheilt
wurde. Erkennt man diese Beeinflussung des Urtheils an, so ist
damit eine ganz plausible Erklärung für die eben besprochene Er¬
scheinung der vorwiegend nach oben stattfindenden Abweichungen
der Empfindungsmitten von den Reizmitten gefunden. Mit Rück¬
sicht auf diese Erörterungen scheint dann aber die Schlussfolgerung
gerechtfertigt, dass die Abweichungen der Empfindungsmitten von
den ßeizmitten, die ja überdies meist nur wenige Schwingungen
betragen, blos in den Bedingungen der experimentellen Unter¬
suchung ihren Grund haben, dass also in Wirklichkeit ein Unter¬
schied zwischen Empfindungsmitte und absoluter Reizmitte gar nicht
existirt, oder dass zwei mit einander verglichene Tondistanzen dann
als gleiche Empfindungsunterschiede zu betrachten sind, wenn
auch die absoluten Unterschiede der Schwingungszahlen der sie
bildenden Töne gleich sind.
Die Frage nach der Beziehung zwischen Empfindungsschätzung
♦und Reiz im Gebiet des Tonsinns erhält hiernach die sehr ein¬
fache Lösung, dass gleichen Unterschieden der Tonem¬
pfindungen gleiche absolute Unterschiede der Schwin¬
gungszahlen entsprechen, oder dass die Aenderungen
der Tonempfindungen den Aenderungen der Schwin¬
gungszahlen proportional sind.
Die Folgerung ist allerdings unter der Voraussetzung gewonnen
worden, dass die oben angestellten Erörterungen richtig sind, wo¬
für nach unseren Versuchszahlen große Wahrscheinlichkeit vor¬
handen ist, aber ein strenger Beweis nicht geliefert werden kann.
Selbst wenn übrigens diese Erwägungen keine Anerkennung finden
sollten, wenn also eine vollständige Proportionalität zwischen
Empfindung und Reiz bei Tönen nicht zugegeben wird, so lässt
sich nicht leugnen, dass dieselbe wenigstens angenähert in der
Mehrzahl der Fälle aus unseren Versuchen resultirt. Mit Bestimmt¬
heit kann aber behauptet werden, dass die relative Beziehung