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E. König.
Mechanismus, durch den jene Reactionen zu stände kommen, selbst
Erzeugniss früherer Willenshandlungen ist, und dass sonach seine
Leistungen gerade so wie die einer Maschine den Stempel des auf
Zwecke gerichteten Wollens an sich tragen. Auf die Willenshand¬
lungen des Urorganismus kann aber diese Erklärungsweise nicht an¬
gewandt werden. Wenn alle Willensthätigkeit eine individuelle ist,
bleibt es ferner unbegreiflich, wie sich mehrere elementare Individuen
(z. B. Zellen) mit ihrem selbständigen Individualwollen zu einem sie
umfassenden Ganzen (dem zusammengesetzten Organismus) vereinigen
können, das als solches Subject eines einheitlichen Gesammtwillens
ist, da doch unmöglich die organisirende Wirksamkeit des individuellen
Willens Uber die Sphäre der eigenen Leiblichkeit hinausgreifen und
andere Willenssuhjecte sich eingliedern kann. Als ein weiteres der¬
artiges Factum lässt sich endlich auch noch die » Heterogonie der
Zwecke« anführen, eine Erscheinung, deren generelle Bedeutung für
alle Entwicklungsprocesse Wundt eindringlich auseinandergesetzt hat,
und die im wesentlichen darin besteht, dass der objectiv erreichte
Zweck regelmäßig das ihm vorausgehende Zweckmotiv in der Art
überschreitet, dass die Neben- und die Folgeeffecte ihrerseits wieder
mit Rücksicht auf den zwecksetzenden Willen als zweckmäßige an¬
erkannt werden müssen. (System, S. 328.)
Alle diese Schwierigkeiten verschwinden nun, wenn man den indi¬
viduellen Voluntarismus zum universellen erweitert, d. h. wenn
man das Wirken physischer Ursachen überhaupt als Erscheinungs¬
form einer einheitlichen Willensthätigkeit betrachtet1). Die Bestim¬
mung nach Zweckvorstellungen tritt dann nicht erst in der Lebewelt
als etwas Neues zur Oausalität hinzu, sondern sie ist schon von
vornherein und überall unauflöslich mit ihr verbunden. Das Indi¬
vidualwollen ist nur Glied oder Modus des Gesammtwillens, und die
individuellen Zwecke sind nur Bestandtheile eines universellen, alles
Geschehen durchziehenden Zusammenhangs. Ist der erste Umstand
geeignet, den Conflict zwischen Oausalität und Finalität principiell
zu lösen, so macht der zweite den bei der individuellen Willensent¬
wicklung zu beobachtenden Uebergang anscheinend rein mechanischer
1) Ygl. hierzu v. Hartmann, Kategorienlehre, S. 448ff., 470ff. Derselbe,
Wahrheit und Irrthum i. Darwinismus, S. 470 ff,