Ueber Naturzwecke.
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voraussetzt. Denkt man sich den Stand unserer gesammten Natur-
erkenntniss auf die gleiche Höhe gebracht, so würden wir die jeweilige
Weltlage als nothwendige Folge der vorhergehenden verstehen, aber
die Anfangslage bliebe als ein causal zufälliges Factum übrig. Von
dieser hängt aber der Verlauf der Vorgänge in dem Ganzen sehr
wesentlich mit ah; bei anderer Anfangslage würden z. B. die Bahnen
der Planeten statt Ellipsen Parabeln oder Hyperbeln geworden sein.
Ist es nun nicht eigentümlich, dass unter der unendlichen Zahl mög¬
licher Anfangslagen eine zur Wirklichkeit geworden ist, die dem
System eine gewisse Stabilität sicherte ? Ist es nicht ebenso wunderbar,
dass vermöge der ursprünglichen Anordnung der Stoffe und Kräfte
die Bedingungen für die Entstehung und Weiterentwicklung des
Lehens auf der Erde sich realisirten? Fast unabweisbar drängt sich
hier der Gedanke einer Zweckbestimmung auf, durch die dem Wirken
der Naturkräfte eine bestimmte Richtung gegeben wurde.
In der That hat Driesch in früheren Schriften die Teleologie
auf derartige Erwägungen zu gründen gesucht, indem er hervorheht,
dass »schon das allereinfachste Geordnete und in diesem Sinne
Formale causaler Erkenntniss nicht zugänglich ist« und »teleologisch
beurtheilt werden muss«*). Kräfte und Stoffe seien das Areal der
causalen, Formen das der teleologischen Betrachtung. Oh freilich
diese letztere schon hei den organischen Formen einzusetzen hat, wie
er will, ist damit noch nicht erwiesen; sollte aber auch das Problem
der Urzeugung jemals einmal gelöst werden, so würde doch dadurch
der Anknüpfungspunkt für die Teleologie nur weiter zurückgeschohen;
Object der Zweckerklärung wäre dann die ursprüngliche Verfassung
des Universums, von der alles causale Erklären ausgehen muss, die
biologische Teleologie würde sich zur kosmologischen erweitern. Wir
kämen damit auf den bekannten Standpunkt von Leibniz, der er¬
klärt, dass alles in der Welt nach Gesetzen mechanischer Oausalität
determinirt ist, dass aber diese Gesetze seihst nur aus dem Gesichts¬
punkte des Zweckes zu begreifen sind, eine Ansicht, die unter den
neueren Philosophen E. v. Hartmann noch genauer formulirt und
eingehender begründet hat1 2). Ehen wegen ihres universellen Charak¬
ters ist aber eine derartige Teleologie nicht mehr eine physische,
1) Analytische Theorie der organischen Entwicklung, S. 166.
2) Vgl. Kategorienlehre, S. 470 ff.
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