Ueber Naturzwecke.
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Untersuchungen besteht also eigentlich darin, dass die Organisation
als ein Grundphänomen anzusehen sei, da wir nicht im stände seien,
seine Möglichkeit aus physischen Bedingungen zu erklären, und
selbst dieser Satz wird noch durch die Bemerkung abgeschwächt,
dass wir anderseits auch die Unmöglichkeit der Erzeugung der
organisirten Naturproducte durch den bloßen Mechanismus der Natur
keineswegs beweisen können« (§ 70).
Die heutige Naturwissenschaft steht indess dem Problem der
Organisation nicht mehr so ganz rathlos gegenüber, wie das zu
Kant’s Zeiten der Fall war. Wenn es richtig ist, dass die Erde
aus dem feurig-flüssigen Zustande allmählich in den jetzigen über¬
gegangen ist, so muss das organische Leben auf ihr zu irgend einer
Zeit seinen Anfang genommen haben; will man also nicht an einen
übernatürlichen schöpferischen Eingriff glauben, so hat man nur die
Wahl, eine Uebertragung des Lebens auf die Erde anzunehmen, wo¬
durch das Problem nur zurückgeschoben wird, oder die ersten Orga¬
nismen durch Urzeugung entstanden zu denken. Können wir uns
nun von diesem Vorgänge bis jetzt auch keinerlei Begriff machen,
so hat doch nach der Meinung der mechanistisch denkenden Bio¬
logen Darwin wenigstens gezeigt, wie die specifische Zweckmäßig¬
keit, d. h. Erhaltungsfähigkeit der Organismen, deren Existenz für
Kant ein unlösbares Räthsel war, ohne Mitwirkung absichtlich wir¬
kender Ursachen entstehen konnte, ja entstehen musste. Es würde
zu weit führen, wenn wir die viel erörterte Frage nach der Haltbar¬
keit und der Tragweite der Darwinschen Principien hier in ihrem
ganzen Umfange aufrollen wollten. Für unser Thema sind von den
mannigfachen gegen die Selectionstheorie erhobenen Einwänden nur
zwei von Bedeutung. Zunächst hat man geltend gemacht, dass die
fortschreitende Steigerung der Organisationshöhe aus zufälügen Varia¬
tionen nicht zu erklären sei, dass hierzu vielmehr eine bestimmt ge¬
richtete Abänderungstendenz, eine Zielstrebigkeit des phylogenetischen
Processes angenommen werden müsse. Sodann ist betont worden,
dass der Darwinismus und die Descendenzhypothese überhaupt im
günstigsten Falle die höheren Organismen aus niederen abzuleiten,
aber den Ursprung der einfachsten Lebensformen nicht zu erklären
vermöge, da er diese vielmehr als Ausgangspunkt der Entwicklung
voraussetze. Das erste Bedenken mag, so weit es die Unzulänglich-