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E. König.
neue Verkeilung der Materie zum Ergebniss, und wenn man den
Nachdruck darauf legt, dass im gegebenen Falle nicht nur überhaupt
eine Form, sondern eine zweckmäßige Form herauskommt, so ist dies
nur ein neues Beispiel für die Thatsache, dass alle physiologischen
Processe, zu denen ja, im weiteren Wortsinne, auch die Ontogenese
gehört, im Sinne der Lebensförderung verlaufen.
4. Wenn sonach, wie schon Kant ausgesprochen hat1), die Rea¬
lität von Naturzwecken aus der Erfahrung nicht bewiesen werden
kann, so bleibt doch die Möglichkeit offen, dass sie als Hypothese
zur Erklärung gewisser Erscheinungen unentbehrlich ist. Betrachten
wir unter diesem Gesichtspunkte zunächst die vitalen Functionen, so
würde die Annahme einer dabei mitspielenden Zweckbestimmung von
vornherein auszuschließen sein, wenn diese Vorgänge sich, der mecha¬
nistischen Ansicht entsprechend, restlos auf dieselben elementaren
Wirkungsweisen zurückführen ließen, aus denen sich die Vorgänge
in der unorganischen Natur zusammensetzen. Denn zugegeben selbst,
dass eine neben der Causalität einhergehende Zweckbestimmung über¬
haupt denkbar ist, so würde doch vom Standpunkte der Naturwissen¬
schaft keine Veranlassung vorhanden sein, zu diesem Erklärungs-
princip zu greifen, wenn sich die Erscheinungen schon aus dem
Causalitätsprincip vollständig ableiten lassen. Nun ist die mechanisti¬
sche Auffassung des Lebens keineswegs ein gesichertes Ergebniss
wissenschaftlicher Forschung, sondern ein in allgemeinen naturphilo¬
sophischen Erwägungen begründetes Postulat. Von der wirklichen
Einsicht in die chemischen und physikalischen Processe, die die
Lebenserscheinungen constituiren sollen, sind wir himmelweit ent¬
fernt, und es ist fraglich, ob diese Einsicht jemals in einem solchen
Umfange zu erlangen sein wird, dass kein unaufgelöster Best mehr
zurückbleibt. Man kann sich hierüber aber auch gar nicht wundem,
wenn man bedenkt, dass schon der einfachste Organismus ein äußerst
complicirtes Gebilde ist, und dass deswegen auch der Zusammenhang
der an ihm sich abspielenden Processe ein sehr verwickelter sein
muss. Auch im Gebiete der anorganischen Natur sind wir ja überall,
wo die Bedingungen des Geschehens einigermaßen verwickelte sind
(z. B. schon bei der Fallbewegung eines unregelmäßig gestalteten
1) Kritik der Urtheilskraft, § 60.