Ueber Naturzwecke.
433
Organismen würden aber, wie das Verhalten nach dem Tode zeigt,
durch die Einwirkungen der Umgebung binnen kurzem vernichtet
werden, wenn diese nicht durch entsprechende Reactionen beständig
im Sinne der Erhaltung ausgeglichen würden. Ebenso kommt die
Fortpflanzung der Arten, ein Vorgang, zu dem sonst in der Natur
nur sehr entfernte Analogien aufzuweisen sind, nur durch eine Summe
besonderer Veranstaltungen und Verhaltungsweisen zu Stande, deren
Vorhandensein als eine besondere, specifische Eigenschaft der Lebe¬
wesen zu registriren ist. Die Realität der biologischen Zweckmäßig¬
keit in dem vorhin näher bestimmten Sinne lässt sich also, wie auch
Plate gegen Kölliker und Nägeli mit Recht betont (a. a. O., S. 8),
nicht in Abrede stellen, und sie wird auch von der Mehrzahl der
streng mechanistisch denkenden Biologen nicht geleugnet; aber ihre
teleologische Deutung ist durchaus problematisch. Wenn es in der
Natur auf die Erhaltung des Lebens abgesehen ist, dann muss man
allerdings sagen, dass die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes in
bewundernswerter Weise berechnet sind, ob aber dieser Zweck wirk¬
lich bei der Gestaltung der Organe maßgebend war und die einzelnen
Functionen andauernd regulirt, ist fraglich. Der Zweckgedanke ist
also eine Hypothese, die man zur Erklärung des tatsächlichen
Sachverhalts aufstellen kann, aber durchaus nicht aufstellen muss.
Vielleicht wird mancher Leser uns den Vorwurf machen, dass
wir hier unnützer Weise selbstverständliche Dinge breit treten, da
kein vernünftiger Biologe unter dem »Zweckmäßigen« etwas anderes
verstehe als das Nützliche, im Sinne der Erhaltung Wirkende, man
sollte dann aber doch den Sprachgebrauch lieber ändern und zur
Bezeichnung dieser Eigenschaft einen anderen, der Missdeutung weni¬
ger ausgesetzten Ausdruck wählen, denn leider lassen sich auch aus
der neuesten Literatur Beispiele genug anführen, wo die Zweideutig¬
keit des Ausdrucks Trugschlüsse zu gunsten einer teleologischen
Deutung der Lebenserscheinungen veranlasst hat. So hebt Reinke
mit Recht hervor, dass die Existenz einer objectiven Zweckmäßigkeit
ebenso sicher ist wie diejenige der Naturgesetze1), begeht aber eine
1) »Wäre es richtig, dass nur der reflectirende Verstand des Menschen die
Zweckmäßigkeit in die Natur hinein interpretire, so müssten ja Pflanzen und Thiere
auf hören zweckmäßig zu sein, wenn man alle Menschen todt schlüge.« Die Welt als
That (Berlin 1899), S. 255. Vgl. auch Einleitung i. d. theoret. Biologie S. 82 f.
Wundt,Philos. Studien. XIX. 28