Volltext: Ueber Naturzwecke (19)

Ueber Naturzwecke. 
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Organismen würden aber, wie das Verhalten nach dem Tode zeigt, 
durch die Einwirkungen der Umgebung binnen kurzem vernichtet 
werden, wenn diese nicht durch entsprechende Reactionen beständig 
im Sinne der Erhaltung ausgeglichen würden. Ebenso kommt die 
Fortpflanzung der Arten, ein Vorgang, zu dem sonst in der Natur 
nur sehr entfernte Analogien aufzuweisen sind, nur durch eine Summe 
besonderer Veranstaltungen und Verhaltungsweisen zu Stande, deren 
Vorhandensein als eine besondere, specifische Eigenschaft der Lebe¬ 
wesen zu registriren ist. Die Realität der biologischen Zweckmäßig¬ 
keit in dem vorhin näher bestimmten Sinne lässt sich also, wie auch 
Plate gegen Kölliker und Nägeli mit Recht betont (a. a. O., S. 8), 
nicht in Abrede stellen, und sie wird auch von der Mehrzahl der 
streng mechanistisch denkenden Biologen nicht geleugnet; aber ihre 
teleologische Deutung ist durchaus problematisch. Wenn es in der 
Natur auf die Erhaltung des Lebens abgesehen ist, dann muss man 
allerdings sagen, dass die Mittel zur Erreichung dieses Zweckes in 
bewundernswerter Weise berechnet sind, ob aber dieser Zweck wirk¬ 
lich bei der Gestaltung der Organe maßgebend war und die einzelnen 
Functionen andauernd regulirt, ist fraglich. Der Zweckgedanke ist 
also eine Hypothese, die man zur Erklärung des tatsächlichen 
Sachverhalts aufstellen kann, aber durchaus nicht aufstellen muss. 
Vielleicht wird mancher Leser uns den Vorwurf machen, dass 
wir hier unnützer Weise selbstverständliche Dinge breit treten, da 
kein vernünftiger Biologe unter dem »Zweckmäßigen« etwas anderes 
verstehe als das Nützliche, im Sinne der Erhaltung Wirkende, man 
sollte dann aber doch den Sprachgebrauch lieber ändern und zur 
Bezeichnung dieser Eigenschaft einen anderen, der Missdeutung weni¬ 
ger ausgesetzten Ausdruck wählen, denn leider lassen sich auch aus 
der neuesten Literatur Beispiele genug anführen, wo die Zweideutig¬ 
keit des Ausdrucks Trugschlüsse zu gunsten einer teleologischen 
Deutung der Lebenserscheinungen veranlasst hat. So hebt Reinke 
mit Recht hervor, dass die Existenz einer objectiven Zweckmäßigkeit 
ebenso sicher ist wie diejenige der Naturgesetze1), begeht aber eine 
1) »Wäre es richtig, dass nur der reflectirende Verstand des Menschen die 
Zweckmäßigkeit in die Natur hinein interpretire, so müssten ja Pflanzen und Thiere 
auf hören zweckmäßig zu sein, wenn man alle Menschen todt schlüge.« Die Welt als 
That (Berlin 1899), S. 255. Vgl. auch Einleitung i. d. theoret. Biologie S. 82 f. 
Wundt,Philos. Studien. XIX. 28
	        
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