Ueber Naturzwecke.
Von
Edmund König.
Sondershausen.
Wenn man die Geschichte der einzelnen Wissenschaften über¬
blickt, so bemerkt man bei allen, die Mathematik nicht ausgenommen,
einen im Laufe der Zeit sich vollziehenden Wandel der methodo¬
logischen und theoretischen Grundanschauungen, der durch den Fort¬
schritt der Erkenntniss selbst bedingt ist und somit nichts Wunder¬
bares oder Auffälliges an sich hat. Dagegen zeigen die biologischen
Disciplinen insofern ein besonderes Verhalten, als hier zwei entgegen¬
gesetzte Auffassungsweisen der Erscheinungen, die mechanische und
die teleologische, in periodischem Wechsel sich beständig wiederhole^--
ohne dass es bis jetzt der einen von beiden gelungen wäre, die andere
endgültig zu verdrängen. Nachdem während des 17. Jahrhunderts
die durch Descartes .entwickelte mechanische Naturanschauung die
Geister ausschließlich beherrscÈT'nâhite, im folgenden die teleo¬
logische, theils in der Form der durch Wolff wieder' A? Jlçbung ge¬
kommenen Erklärung nach äußeren Zwecken, theils in der des physio'-"'
logischen Vitalismus und Animismus an ihre Stelle und behauptet
das Feld, bis im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts wiederum ein
Umschlag erfolgt, und der Zweckbegriff von neuem als unwissen¬
schaftlich in Acht und Bann gethan wird. Diesmal scheint der
Herrschaft der mechanischen Anschauung aber nur eine kurze Dauer
beschieden zu sein; die vor etwa zehn Jahren zuerst schüchtern
hervorgetretene Opposition der Neovitalisten und Antidarwinisten ist
bereits heute zu einer mächtigen Bewegung angewachsen, die sehr
wahrscheinlich mit dem Siege der Teleologie enden wird.
Natürlich hat weder das mechanische noch das teleologische Be¬
griffssystem ganz unverändert die Jahrhunderte überdauert,' vielmehr