Die Dimensionen des Raumes.
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Punktmengen spielen in der modernen Mathematik eine wichtige
Rolle, und man behandelt diese »Gebilde«, als ob die Menge der
Punkte ihre charakteristische Eigenschaft sei, die sich sodann zur
Deduction anderer Raumbeziehungen verwenden lasse. »Eine Punkt¬
menge besteht aus unendlich vielen Punkten«(wobei die Unendlich¬
keit von verschiedener Ordnung sein kann) und kann sogar noch so¬
genannte Verdichtungsstellen enthalten, wo sich die Punkte besonders
häufen. Nun behaupte ich aber: Eine Punktreihe oder Punktmenge
ist von einem einzelnen Punkte gar nicht verschieden, außer
wenn sie neben der Menge von Punkten noch etwas anderes ent¬
hält, was qualitativ über die Eigenschaften des Punktes hinausgeht,
z. B. lineare oder flächenhafte Ausdehnung. Jeder beliebige Punkt
kann als Punktmenge oder als Yerdichtungsstelle von beliebiger Stärke
aufgefasst werden; und alles, was man mit Hülfe solcher widerspruchs¬
vollen Scheinbegriffe, wie Punktmenge u. s. w., zu erreichen vorgibt, ist
lediglich das Product einer logischen Erschleichung. 'Zwischen Punkt
und Linie oder Linie und Fläche besteht ein qualitativer Unterschied, der
durch keine quantitative Approximation überbrückt werden kann. Diese
falsche Idee des »unräumlichen« Punktes, der doch als Raumelement
fungiren muß, ist selbst in der neuesten mathematischen Litteratur nicht
beseitigt. Auch Russell sieht eine Antinomie darin, dass Geraden
und Ebenen einerseits als Beziehungen von Punkten betrachtet werden
müssen (projective Geometrie) während sie anderseits doch aus Punkten
bestehen (made up of points). »Ein Punkt muss räumlich sein«,
sagt Russell1 2), »sonst könnte er nicht die Aufgabe eines Raum¬
elements erfüllen. Anderseits aber darf er doch keinen Raum ent¬
halten, denn besäße er irgend welche endliche Ausdehnung, so wäre
er weiterer Zerlegung fähig«. Diese Schwierigkeit in dem sich selbst
widersprechenden Begriff des unräumlichen Raumelementes glaubt
Russell heben zu können, wenn er jedem geometrischen Satze von
vornherein eine gewisse Beziehung zur Materie gibt und das punk¬
tuelle Raum-Element durch das Atom ersetzt, da dies ein nicht-
1) F. Klein, Vorlesungen über die Anwendung der Differential- und
Integral-Rechnung auf Geometrie. Eine Revision der Principien. 1902 ; S. 36,
2) Russell, The Foundations of Geometry 1897, p. 189.