380
A. Kirschmann.
stand, der ja die übrige Mathematik doch auch acceptirt hat, keinen
Anstoß findet. Dass es aber zu solchen Missverständnissen zwischen
Mathematik und Philosophie, zu solchen Widersprüchen innerhalb
der mathematischen Begriffssphäre überhaupt kommen konnte, daran
trägt nicht zum mindesten der Umstand schuld, dass die Mathe¬
matiker, anstatt der alten pädagogischen Kegel eingedenk zu bleiben,
wonach man eine Sache um so besser kennt, von je zahlreicheren
und verschiedeneren Standpunkten man sie betrachtet hat, gar zu ge¬
neigt sind, unter Vernachlässigung der Anschaulichkeit alles auf
eine einzige, ganz einseitige Darstellungsweise, das analytische Ver¬
fahren, zu reduciren. Man kann sich in dieser Hinsicht der scharfen
aber treffenden Kritik nur anschließen, die Schmitz-Dumont der
einseitigen und unklaren, analytischen Symbolik zu Theil werden
lässt1).
Wir sehen somit : Der analytische Dimensionsbegriff lässt sich nur
in gewissen Fällen — und auch dann nur in einer willkürlichen,
nicht in der Natur der Sache begründeten Weise — auf den Raum an¬
wenden und geräth nicht selten mit dem räumlichen Dimensionsbegriff
in directen Widerspruch. Uebrigens werden wir weiter unten sehen,
dass sich die räumlichen Dimensionen nur dann dem analytischen
Begriffe der w-fach ausgedehnten Mannigfaltigkeit einordnen lassen,
wenn man sie als vertauschbare Coordinaten auffasst, wobei die Zahl
derselben willkürlich wird. Die Geometrie des n-fach ausgedehnten
Raumes repräsentirt daher keineswegs jene höchste und absolute Ge¬
ometrie, von der Kant einmal träumte, sondern sie ist lediglich ein
ungenauer und unpassender Ausdruck für eine Größenlehre der
n-fachen Mannigfaltigkeiten.
Eine zweite Möglichkeit den Begriff der Dimension zu definiren
f ist durch die Thatsache nahegelegt, dass räumliche Dimensionen und
Potenzen sich in einem gewissen Grade entsprechen. Eindimensionale
Gebilde, d. i. gerade Linien können bei geradlinigen Coordinaten
stets durch eine Gleichung ersten Grades dargestellt werden. Ge¬
krümmte, also die zweite Dimension voraussetzende Curven bedürfen
einer Gleichung mindestens zweiten Grades. Damit aber hört die
Analogie auch schon auf; denn es gibt auch Curven dritten, vierten
1) Schmitz-Dumont, Naturphilosophie und exacte Wissenschaft, S. 148 ff.