Die Dimensionen des Raumes.
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neue Gebrauch habe mit dem alten gar nichts gemein, man habe nur
das Wort gewählt, weil das Kind doch einmal einen Namen haben
muss; ein wenig später oder ein paar Seiten weiter unten im Buche
wird die alte Bedeutung, bewusst oder unbewusst, doch ganz leise
wieder eingeschmuggelt.
Man hat daher statt der »Räume« höherer Ordnung die Aus¬
drücke »Raumoide«1) und »Ordnungssysteme« und statt »Dimension«
»Scala« vorgeschlagen. Aber selbst dies erscheint überflüssig, da die
Bezeichnungen Mannigfaltigkeit und Variabilität vollständig aus¬
reichend sind. Benno Erdmann2) ist der Ansicht, dass sich durch
die gebräuchlichen Bezeichnungen (Raum von nDimensionen u. s.w.)
»nicht wenige grobe und feine Missverständnisse, besonders bei den
philosophischen Beurtheilern, gebildet haben.« Und zwar sollen die
fraglichen Bezeichnungen bei den Philosophen nicht sowohl die Ur¬
sache, sondern den »willkommenen Anlass« für die Missverständnisse
bilden. Da, scheint mir, hat der Philosoph Erdmann seine Berufs¬
genossen doch gar ungerecht mitgenommen. Die Philosophen haben
sich bis jetzt darauf beschränkt, unlogische und widerspruchsvolle
Begriffe gebührend zurückzuweisen, während die besagten Missver¬
ständnisse im mathematischen Lager selbst entstanden sind, wo man
über Bedeutung und Tragweite der metageometrischen Speculations-
producte durchaus nicht einig ist. Was kann die Philosophie dafür,
dass der eine Mathematiker, Cayley, die Anwendung der nicht¬
euklidischen Geometrie auf außerempirische »Räume« als von vorn¬
herein verfehlt verwirft, während der andere, Helmholtz, mit einer
Zuversicht von nicht-euklidischen und krummen Räumen spricht, als
könne er sie jeder Zeit mit dem Zollstab ausmessen. Wenn sich,
wie Erdmann3) glaubt, »die Begriffe jener Räume mit all’ jener
Klarheit und Deutlichkeit bilden lassen, welche die discursive Natur
der begrifflichen Erkenntniss überhaupt zulässt«, so muss es doch
auch den Mathematikern ein Kleines sein, diese Begriffe widerspruchs¬
los mit Klarheit und Deutlichkeit und in unzweideutigen Aus¬
drücken zu definiren und zwar so, dass der gesunde Menschenver-
1) Lotze, Metaphysik, S. 241.
2) Die Axiome der Geometrie, S. 49.
3) A. a. O., S. 135.