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A. Kirschmann.
nicht entsprechend. Alle Größe ist intensiv, und dennoch setzt sie
die Ausdehnung, die extensive Trennung als conditio sine qua non
voraus. Man kann daher auch nicht einfach mit Grassmann1) sagen,
dass die intensive Größe durch Erzeugung des Gleichen, die exten¬
sive, d. i. die Ausdehnung, durch Erzeugung des Verschiedenen ent¬
steht, denn die Erzeugung des Gleichen setzt schon die Kaumver¬
schiedenheit voraus. Aber bei Grassmann ist eben die Extension
doch auch noch »Größe«. Die extensive Größe, die flüssig ge¬
wordene Combination, unterscheidet sich von der intensiven, der
flüssig gewordenen Zahl, durch das »Auseinandertreten« der Ele¬
mente2). Dieses Auseinandertreten der Elemente ist das was wir
Ausdehnung nennen. Eine reine Größenlehre unabhängig von der
Ausdehnung (d. i. vom Kaum), wie so viele Analytiker sie zu besitzen
wähnen, ist demnach nicht möglich. Auch die reine Zahl, sei sie
quantitatives (Cardinalzahl) oder Ordnungsprincip (Ordinalzahl), sei
ihre Keihe als stetige oder als discontinuirliche aufgefasst, enthält
stets Ausdehnung und Intensität.
Es ist eine andere Frage, ob eipe reine Ausdehnungslehre, eine
Kaumlehre ohne jegliche Bezugnahme auf Größe, möglich ist. Da
zwar die Größe der Ausdehnung als Vorbedingung bedarf, nicht aber
umgekehrt, denn das Charakteristische der Ausdehnung (d. i. des
Raumes) ist nicht Quantität, sondern Qualität, und zwar eine von
allen anderen Qualitäten mehr verschiedene, als diese untereinander,
nämlich die Qualität, die sich nicht anders ausdrücken lässt als: »dieser
Ort im Raum ist nicht jener«, so darf diese Frage unbedingt bejaht
werden. Eine solche Ausdehnungs- oder Kaumlehre ist sehr wohl
möglich. Sie hat sich jeglichen Gebrauchs der Größenhegriffe zu be¬
gehen. In einer solchen nichtmetrischen Geometrie darf es zwar
Punkte, Linien und Ebenen, d. i. Orte, Richtungen und Richtungs¬
systeme geben, aber keine Distanzen und Winkelgrößen. Es gibt in
einer solchen Geometrie weder Größe noch Aehnlichkeit von Figuren;
denn von der Gestalt, die ja theilweise auf Größenverhältnissen be¬
ruht, kann nur noch die Collineation übrig bleiben. In der That
kommt die sogenannte Geometrie der Lage, die projective Geometrie
1) Grassmann, Ausdehnungslehre I (Engl. Ausgabe), Einleitung, S. 26.
2) Ebenda, S. 27.