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A. Kirschmann.
jede Bestimmung acht Punkte statt eines zu erhalten, die willkürlich
gewählten Grundrichtungen (Coordinatenaxen) auch noch willkürlich in
je einen positiven und negativen Ast theilen muss, denen im Raume
nichts entspricht.
Obgleich sich bei der analytischen Geometrie, deren Bedeutung
und ungeheurer Nutzen für den Fortschritt der mathematischen
Wissenschaften gewiss nicht geleugnet werden soll, die Beziehung zur
Anschauung jederzeit herstellen lässt, so wird die thatsächliche Auf¬
rechterhaltung dieser Beziehung im Verlauf der Deduction doch durch
den folgenden Umstand sehr erschwert. Bei der wirklich geome¬
trischen Behandlung von Raumgebilden können wir leicht und über¬
sichtlich zwei Momente auseinander halten, die sich in Bezug auf das
Gesetz der Relativität ganz verschieden verhalten. Bei jedem Raum¬
gebilde lassen sich die äußeren und inneren Raumbeziehungen unter¬
scheiden und getrennt beurtheilen. Die äußeren Beziehungen d. i.
die absolute Größe, Lage etc., sind von andern Raumgebilden ab¬
hängig, man ändert sie, wenn man das Princip der Relativität auf
das in Frage stehende Raumgebilde allein anwendet. Die inneren Be¬
ziehungen, d. i. die Gestalt (Oollineation und Winkelverhältnisse)
werden durch die Anwendung des Relativitätsprincipes gar nicht
berührt. Diese in der anschaulichen Geometrie so leicht auseinander
zu haltenden Beurtheilungsweisen, von welchen die eine gerade das
, betrifft, was in der andern ganz irrelevant ist, nämlich die absoluten
Größen, sind in der analytischen Geometrie gar nicht oder nur sehr
undeutlich geschieden. Nur auf beschwerlichen Umwegen kann man
aus den Gleichungen zweier Curven erkennen, ob die letzteren ähn¬
lich sind oder nicht.
Alle diese Uebelstände in der heutigen mathematischen Methode
stehen in engstem Zusammenhänge mit den fast allgemein ange¬
nommenen Grundvoraussetzungen, dass es eine reine, von der räum¬
lichen Ausdehnung absolut unabhängige Größenlehre gebe, die
sich als das Primäre, Ursprüngliche, allen speciellen mathematischen
Betrachtungsweisen üherordne, und dass die Geometrie des gegebenen
Raumes sich als ein besonderer Fall einer allgemeineren Mannig¬
faltigkeitslehre ansehen lasse. Diese Annahmen liegen aber auch
den Speculationen zu Grunde, die zu der Theorie der höheren
Dimensionen geführt haben.