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A. Barschmann.
Ein rechtsdrehender Krystall bleibt unter allen Umständen rechts¬
drehend, man mag einen Schliff, von welcher Richtung man will
anwenden, und in einer drehenden Flüssigkeit lässt sich, ohne An¬
wendung chemischer Veränderung, das Drehungsvermögen weder auf-
heben noch umkehren. Es ist bekannt, dass durch Anwendung von
Druck- und Temperaturänderung nicht nur die Gestalt (Kantenwinkel),
die Elasticität und die elektrischen Eigenschaften der Krystalle, son¬
dern auch ihre optische Beschaffenheit geändert wird. Die Richtung
des Drehungsvermögens wird durch diese Agentien nicht geändert.
Durch Druck können amorphe und einfach brechende krystallinische
Substanzen doppelbrechend werden. Oomprimirter Quarz verändert
durch den Druck den Grad seiner Doppelbrechung und wird sogar
optisch zweiaxig; aber seine Circularpolarisation ändert er
nicht. Durch starke Temperaturerhöhung wird zwar, wie dies ja bei
der gleichzeitigen Gestalts- und Elasticitätsänderung kaum anders zu
erwarten ist, das Drehungsvermögen in geringfügigem Grade verstärkt
oder vermindert. Aber die Richtung desselben wird nicht umgekehrt,
und aufgehoben wird das Drehungsvermögen höchstens, wenn der
Körper in einen anderen Aggregatzustand übergeht.
Die beiden Modificationen derselben Substanz, die rechtsdrehende
und die linksdrehende, auch wenn sie aus derselben gemeinsamen,
kein Drehungsvermögen besitzenden Lösung herauskrystallisirten,
zeigen in ihrem chemischen Verhalten oft erhebliche Abweichungen;
und die Mischung beider ist zuweilen im Stande, andere Verbindungen
einzugehen als jede von ihnen einzeln, obgleich die quantitative Analyse
auch nicht den geringsten Unterschied nachzuweisen vermag. Wäre
die Verschiedenheit der enantiomorphen Krystalle nur eine rein äußer¬
liche, die Gestalt betreffende, so wäre der Erscheinung keine besondere
Wichtigkeit beizumessen. Die Thatsache der Circularpolarisation und
die Abweichung im chemischen Verhalten aber zeigt, dass bei diesen
Substanzen der ganze innere Bau für das rechte und linke Individuum,
für die lechtsdrehende und linksdrehende Lösung, von Grund aus
verschieden sein muss. Man nimmt allgemein an, dass auch in festen
und flüssigen Körpern die kleinsten Theilchen in fortwährender oscilla-
torischer Bewegung irgend einer Art begriffen sind. Bei enantio¬
morphen Substanzen muss nun diese Molecularbewegung in rechts-
und linksdrehenden Individuen ebenso verschieden sein wie ihre äußere