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A. Kirschmann.
wirklich gegeben. Sind wir aber befähigt, eine nicht actuell gegebene
Dimension über die beiden in der thatsächlichen Erfahrung vor¬
handenen hinaus, zu construiren, so sollte uns doch eigentlich nichts
verhindern können, den Process des Schließens und Construirons noch
weiter fortzusetzen und zur Annahme einer vierten, fünften, u. s. f.
Dimension zu schreiten. Dieser Schluss ist ganz plausibel und sogar
unanfechtbar, so lange kein Zweifel hinsichtlich der Prämissen besteht.
Die Prämissen bestehen aus Annahmen, welche die ganze empirjstisclie
und ein Theil der nativisjjschen Schule mit Bezug auf die Theorie
des Baumes vertritt. Mit diesen Annahmen steht und fällt also
auch der Zöllner’sche Schluss. Ganz so leicht wie Hermann
Schubert1) sich die Sache denkt, ist das Argument Zöllner’s
nicht aus dem Felde zu schlagen. In einem Artikel über die vierte
Dimension argumentirt Schubert ungefähr wie folgt: Alle körper¬
lichen Processe sind dreidimensional, der photochemische Process
in der Betina macht davon keine Ausnahme. Das Betinabild hat
wie alle Bilder eine wenn auch geringe Dicke und ist daher keines¬
wegs rein flächenhaft. Nur mittelst einer Abstraction geben wir ihm
in unserem Bewusstsein eine verschwindend geringe Dicke. Es
ist wohl kaum nothwendig, eine auf so grober materialistischer Ver¬
wechselung des psychischen Thatbestandes und der körperlichen
Parallelvorgänge beruhende Darstellung zu widerlegen. Selbst wenn
wir die Betinavorgänge direct wahrzunehmen vermöchten (wie es ja
theilweise bei den entoptischen Erscheinungen und dem Eigenlicht
der Netzhaut der Fall ist) und selbst wenn diese Wahrnehmung sich
auch auf die Tiefe der betreffenden Processe erstreckte, so bestände
zwischen dieser Dreidimensionalität und derjenigen der wahrzunehmen¬
den Objecte der Außenwelt noch gar kein Zusammenhang. Die
flächenhafte Natur des Sehfeldes anzuzweifeln hätten wir damit noch
kein Becht.
Wir haben also die Frage zu untersuchen, ob die Annahme, dass
das direct Gegebene zweidimensional sei, zutrifft oder nicht. Für die
reinen^Empiristen, nach welchen die ganze Baumanschauung etwas
Gewordenes, nicht ursprünglich Gegebenes ist, hat die Frage nicht
dieselbe Wichtigkeit wie für die Nativisten. Dennoch aber beansprucht
1) The Monist, vol. III, p. 433 ff.