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Friedrich Kiesow.
Wir übergehen die Einzelheiten der weiteren Arbeiten, durch
welche diese Thatsachen immer mehr bestätigt und geklärt wurden
und welche mehr die Anordnung, Vertheilung und Endigungsweise
der Nervenfasern im Einzelnen verfolgten. In späteren Arbeiten werden
wir etwas näher darauf eingehen, es sei daher hier auf die werthvollen
Untersuchungen von Merkel, Ebner, v. Mises, van Gehuchten,
Orrù, Sertoli, ßetzius, Szymonovicz und Anderer, wie besonders
auf die unlängst von Leontowitsch erschienene umfangreiche Abhand¬
lung nur verwiesen *). Durch alle diese mühevollen Studien ist immer
mehr festgestellt worden, dass alle Haare mit Nerven versorgt sind, die
sich unterhalb der Talgdrüsen inseriren und hier ein nach den einen
mehr, nach anderen weniger geschlossenes Gefüge bilden, das als
Nervenring (Schöbl-Jobert), korbartiges Geflecht (v. Mises), Netz,
Nervenkranz oder anders bezeichnet wird. Schließlich gibt v. F rey2)
an, dass auch er beim Menschen an Dickenschnitten bei Anwendung
der Goldfärbung dieses Gebilde an jedem Haar gesehen hat. Was
die Endigungsweise der Nerven im Einzelnen betrifft, so dürfte hier
bei der großen Oomplicirtheit des Organs trotz des Zusammenwirkens
der namhaftesten Forscher eine Einigkeit auch noch kaum erzielt worden
sein. Auch die Befunde von Leontowitsch werden zumTheil vielleicht
noch der Kritik zu unterwerfen sein. Aus der erwähnten Arbeit sei
nur noch hervorgehohen, dass dieser Forscher die Mannigfaltigkeit im
Bau des Haares, welche frühere Autoren aus der Verschiedenheit der
verwendeten Thierarten erklärten, zum Theil auf seine verschiedenen
Altersstufen zurückzuführen sucht. Er unterscheidet in der Haar¬
entwicklung fünf Stadien, die Bildung des Nervenrings beginnt nach
ihm im dritten.
Hiermit sind die Functionen der Haare nicht erschöpft3), uns
interessirt aber hier nur die so vielseitig festgestellte Thatsache, dass
jedes Haar ein specifisch adaptirtes Tastorgan ist. Ebenso gewiss
ist aber, was immer der weitere Gang der Forschung erbringen möge,
1) Cit. Abhandl. in Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. VIII, S. 142 ff.
Vgl. ebenso W. Wundt, Grundzüge d. physiol. Psychologie, 5. Aufl. I, S. 396.
2) Cit. Abhandlung, S. 254.
3) Vgl. S. Exner, Die Function der menschlichen Haare. Wiener klin.
Wochenschr., 1896, IX, 14, S. 237. — Ueber die elektr. Eigenschaften der Haare
und Federn. Pflüg er’s Archiv LXI, S. 427 ff. Vortr. des Vereins zur Verbrei¬
tung naturwiss. Kenntnisse in Wien, XXXVI, 3, 1896.