Volltext: Psychologie und Nervenheilkunde (19)

Psychologie und Nervenheilkunde. 
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Apperception als einem Willensvorgange die soeben versuchte Inter¬ 
pretation der kataleptischen Symptome ohne weiteres stimmen. Dass 
es sich nicht psychologisch, sondern lediglich physiologisch erklären 
lässt, wenn katatonische Kranke stundenlang mit halb erhobenem 
Kopfe im Bett liegen, in einer Stellung also, die beim Gesunden 
schon nach wenigen Minuten zur völligen Ermüdung der Nacken¬ 
muskeln führt, braucht wohl nicht erst näher erörtert zu werden. 
Es scheint sich ja neuerdings immer stärker die Ansicht durchzusetzen, 
dass die Katalepsie ein Sammelname für eine Anzahl von Erschei¬ 
nungen ist, die auf ganz verschiedenen Vorgängen beruhen und bei 
eindringlicher Beobachtung wohl auch in ihrem so ähnlichen äußeren 
Bilde recht wesentliche Unterschiede erkennen lassen. 
Mit der hier versuchten Deutung der Anästhesie verschwindet 
auch das Geheimnissvolle, das gerade dieser hysterischen Erscheinung 
immer anhaftete. Lähmungen und Krämpfe, Hyperästhesien und 
Parästhesien sind lauter Dinge, die der Gesunde sich mindestens 
vorzustellen vermag, und die den Verdacht der Verstellung niemals 
ganz bündig ausschließen. Anästhesien aber kann keiner simuliren, 
zumal in der bei der Hysterie gerade so häufigen analgetischen Form ; 
und wieviel räthselhafter musste der Sachverhalt werden, wenn man 
sich überlegte, dass gerade die Beizung einer Körperstelle oder der 
Anblick einer solchen Beizung, die Vorstellung davon, die Erinnerung 
daran, diese selbe Stelle anästhetisch werden ließ! Dass einer in 
solchen Fällen Parästhesien hat, kann der Gesunde sich noch aus¬ 
malen — die Anästhesie niemals. Denn mit der Vorstellung, dass 
eben diese Stelle geschädigt werde, kann man wohl Lähmung, Krampf, 
Schmerz, Vertaubung verbinden, aber doch nicht Schmerzlosigkeit, 
Empfindungsmangel. Ueber diese Unmöglichkeit kommen wir jetzt 
leicht hinweg. Es ist gar nicht die Vorstellung einer Schädigung, 
die Anästhesie hervorruft. Es ist einfach die Vorstellung jenes Be¬ 
zirkes schlechthin, sein Einrücken in den Blickpunkt des Bewusstseins, 
das die von ihm ausgehenden centripetalen Erregungen schwächt oder 
auslöscht, desto vollständiger, je mehr die Aufmerksamkeit auf diese 
Erregungen gelenkt wird. Damit wird aber auch die Dauer der 
hysterischen Anästhesie begreiflich. Stellt sie doch das allerzäheste 
Symptom dar, das Anfälle, Lähmungen, Schmerzen überlebt und oft 
jahrelang in der gleichen Verbreitung bestehen bleibt. Es handelt
	        
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