Psychologie und Nervenheilkunde.
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also, die den Apperceptionsvorgang zu Stande kommen lässt: das
ganze Blickfeld des Bewusstseins betheiligt sich an der Wahl des
jeweiligen Blickpunktes. Der Verzicht auf diese Betheiligung stellt
die passive Apperception dar, in der die jeweils durch ihre Stärke
oder ihre associativen Bedingungen am meisten sich vordrängenden
Erscheinungen auch widerstandslos die größte Deutlichkeit gewinnen ;
die active Apperception ist demgegenüber jener aus der ganzen Ent¬
wicklung unserer Psyche resultirende Zustand, in welchem unter
einem mehr oder minder lebhaften Gefühl der Thätigkeit bestimmten
psychischen Inhalten gegenüber anderen, nach Stärke und Verknüpfung
vielleicht günstiger gestellten, dennoch die größere Deutlichkeit ver¬
liehen wird. Dabei finden nicht selten Veränderungen der Em¬
pfindungsstärke statt: von mir selber kann ich mittheilen, dass schwache
Geruchsempfindungen, sowie ich ihnen meine Aufmerksamkeit zu¬
wende, für mich nahezu erlöschen, und viele Menschen vermögen
einen Schmerz nur dadurch sich erträglich zu machen, dass sie mit
allerhöchster Anspannung ihr Bewusstsein auf ihn concentriren.
Anderseits erwähnten wir schon, dass stark affectiv wirkende Vor¬
stellungen selbst intensive Empfindungen zum Erlöschen bringen
können: man denke nur an das auch von Moebius erwähnte Ver¬
schwinden des Zahnwehs kurz vor dem Ansetzen der Extractionszange.
Wir haben also die Wahl zwischen zwei Factoren, wenn wir uns die
Hypästhesie der Hysterischen begreiflich machen wollen. Einmal
könnte jene Eigenart der stark gespannten Aufmerksamkeit, die von
ihr ins Auge gefassten Empfindungen zu schwächen, bei der hyste¬
rischen Entartung krankhaft gesteigert sein. Anderseits könnten
aber auch inhaltsverschiedene psychische Erlebnisse für längere Zeit
einer bestimmten Gruppe von sensiblen Erregungen den Weg zur
Apperception versperren.
Die Beobachtungen über die Entstehung der hysterischen Sensi¬
bilitätsstörungen legen mir die Vermuthung nahe, dass beide Mög¬
lichkeiten in Betracht gezogen werden müssen, beide im Leben auch
derselben hysterischen Person miteinander wechseln. Wir sehen
Anästhesien eintreten nach Erlebnissen aufregender Natur; hierher
zählen auch die centripetalen Störungen im Bilde der Unfallsneurose.
Wenn nach einem Brandunglück einer der Betroffenen eine Anästhesie
des rechten Armes hat, so steht diese Erkrankung inhaltlich mit dem