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Willy Hellpach.
Erscheinungen zunächst einmal eine gemeinsame Grundlage gegeben.
Ich weiß nicht, oh sie einer eindringlichen Kritik standzuhalten ver¬
mag ; das Negative aber ist mir sicher, dass wir uns niemals auf die
unbewussten Eactoren einlassen dürfen, dass es besser ist, die Hysterie
gar nicht, als mit mystischen Hülfsmitteln zu deuten. »Jenseits des
Bewusstseins« hört jede Psychologie auf; dort fängt entweder die
Physiologie oder die Metaphysik an, und welche von beiden für das
Yerständniss psychischer Zusammenhänge weniger zu leisten vermag,
soll hier nicht untersucht werden.
Um so weniger ist es mir auch begreiflich, dass Kraepelin den
französischen Theorien eine gewisse Anerkennung ausspricht, um gleich
darauf mit starker Ironie gegen die Hypothese von Breuer und
Freud zu polemisiren, nach der die Hysterie in den Nachwirkungen
geschlechtlicher Erlebnisse aus der frühen Kindheit ihre wesentliche
Ursache haben soll. Lassen wir es dahingestellt, wie weit es sich
klinisch dabei um leere Phantastereien handelt. Psychologisch ist
allerdings die Art, wie die Autoren ihre Belege sich verschaffen,
absolut unbrauchbar. Das Ausfragen im Zustande der Hypnose ist
durch die denkwürdige, von den Hypnotismusenthusiasten darum wohl
auch meistens nicht erwähnte Abhandlung unseres Jubilars als eine
Methode gekennzeichnet worden, die mit dem Verfahren der wissen¬
schaftlichen Forschung nichts zu thun hat. Aber rein theoretisch
betrachtet, steht die Breuer-Freud’sche Hypothese viel mehr auf
dem Boden der Denkmöglichkeit, als Janet’s Bewusstseinsspaltung
oder Moebius’ von »jenseits des Bewusstseins« wirkende Vorstell¬
ungen. Wir wissen, dass den Erlebnissen der Kindheit eine überaus
feste Gefühlsfärbung innewohnt, die sich im späteren Lehen oft ganz
unvermuthet über unser Inneres breitet, ohne dass die sie tragenden
Vorstellungen zu klarer Erinnerung gelangten, dass aber mit deren
Eintritt jene Stimmung abklingt. Zu solcher Fortwirkung sind wie¬
derum die ersten geschlechtlichen Ereignisse am allermeisten geeignet.
Es ist eine starke Unterschätzung der Pubertät, wenn Kraepelin
von »längst vergessenen sexuellen Erfahrungen« spricht, durch die
unsere Seele nach jener Theorie ihr Gleichgewicht verlieren soll.
Ich habe wenigstens immer beobachtet, dass die Mehrzahl der Men¬
schen ihr späteres Liebesieben recht leicht überwinden, dass die
frühesten, der Geschlechtsreife oft lange vorauseilenden geschlecht-