Volltext: Die Hauptformen des Rationalismus (19)

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Jonas Cohn. 
dem entrinnen, so genügte es nicht mehr, sich von der Sinneserkenntniss 
abzuwenden und eine wahre Quelle der Weisheit in sich zu fühlen 
und andeutend zu preisen, vielmehr musste man sich deutlich machen, 
wo die letzte unbestreitbare Quelle aller Gewissheit liegt. So er- 
^ hoben erst Sokrates und Plato den Rationalismus zum vollen Be¬ 
wusstsein. Die Grundsätze des Denkens garantiren sich selbst, sie 
sind unbestreitbar, sie sind anderseits nichts von außen dem Geiste 
Aufgedrungenes, sondern das wahre Wesen des Geistes selbst, der 
in ihnen seine Macht und seinen Stolz hat. Dieses Gefühl der Würde 
fdes Denkens ist das Pathos des Rationalismus, das aus Plato’s 
Dialogen uns ergreifend entgegentönt. Wie seine Vorstufen, so ist 
auch dieser vollbewusste Rationalismus realistisch, d. h. er sieht im 
Erkennen die Abbildung einer außerhalb des Erkennens vorhandenen 
Wirklichkeit. Der Grundsatz des Rationalismus, dass das reine Denken 
wahre Erkenntniss gibt, formt sich hier also dahin um, dass das 
klar Erkannte wirklich ist. Diese Form bezeichnet man als Grund¬ 
satz des Ontologismus. Mehr oder minder bewusster Ontologismus 
ist aller Rationalismus von Plato bis zu Leibniz. Sehr verschieden 
f stellen sich diese Systeme zum metaphysischen Intellectualismus. 
'Plato hängt diesem nicht eigentlich an, aber eine Tendenz dahin 
liegt in seinem System und wird nur von entgegenstehenden Denk¬ 
motiven an voller Durchsetzung verhindert. Da es sich hier nicht 
um eine historische Untersuchung handelt, sondern die Geschichte 
nur der auf die Hauptformen gerichteten phänomenologischen Unter¬ 
suchung dient, so müssen die von diesem Gesichtspunkte aus unter¬ 
geordneten Verschiedenheiten der Systeme außer Betracht bleiben. 
Bedeutsam dagegen ist auch für uns eine Vergleichung des antiken 
Ontologismus mit dem modernen, der von Descartes ausgeht. Auch 
dieser neuere Rationalismus kommt zum Selbstbewusstsein durch die 
Ueberwindung des Zweifels. Aber dieser Zweifel steht dem Philosophen 
nicht als äußerer Gegner, als sophistischer Mitunterredner gegenüber, 
er sitzt in ihm selbst und quält ihn als Bewusstsein der Ungewissheit. 
Descartes kann diesen Feind nur überwinden, indem er ihm ein¬ 
mal Macht über alles gibt, was er anzugreifen vermag, und so in 
dienste um die Erkenntnistheorie nicht, sie ist platonisirend und daher ein¬ 
seitig — aber auf den Rationalismus hat eben gerade diese einseitige Auffassung 
der Sophistik gewirkt.
	        
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