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Paul Linke.
ohne mit Locke’s Identitätshegriff, von dem sogleich die Rede sein
wird, in Conflict zu kommen. Coexistenz wäre dann ein Specialfall
der Identität, sie wäre nämlich Identität der Zeit- und Ortsbestim¬
mungen, durch die zwei oder mehrere »Ideen« unter anderen gekenn¬
zeichnet sind. Wird das aber zugegeben, so ist die Gleichstellung
beider Relationen natürlich unmotivirt.
So scheint es fast, als hätte Locke jene ganze Gruppeneintheilung
gar nicht aus logischen Gründen vorgenommen, sondern einfach die
am häufigsten vorkommenden »Arten der Uehereinstimmung«, ohne
auf ihre begriffliche Stellung Rücksicht zu nehmen, nur weil sie ihm
eben gleich wichtig erschienen, nebeneinander gestellt. Dem entspricht
es, dass er die Identität (und als ihr Correlat die Yerschiedenheit)
an die erste Stelle gesetzt hat. Denn beide sind ihm die Grundvor¬
aussetzungen alles Wissens: »Es ist die erste Thätigkeit des Geistes,
wenn er überhaupt irgend welche Wahrnehmungen oder Ideen hat,
sich dieser Ideen bewusst zu werden (perceive) und, so weit dieses
Bewusstsein reicht, von jeder zu wissen, was sie ist, und sich dadurch
auch ihres Unterschiedes, d. h. also der Thatsache bewusst zu
werden, dass eine nicht die andere ist. Dies ist so unbedingt nöthig,
dass es ohne dies kein Wissen, kein Folgern (reasoning), kein Vor¬
stellen (imagination), überhaupt keinen bestimmten Gedanken geben
könnte. Hierdurch nimmt der Geist klar und unfehlbar wahr, dass
jede Idee mit sich selbst übereinstimmt und das ist, was sie ist, und
dass alle bestimmten Ideen von einander verschieden sind, d. h. dass
die eine nicht die andere ist; und das thut er ohne Mühe, An¬
strengung oder Beweisführung, vielmehr auf den ersten Blick vermöge
seiner natürlichen Kraft des Auffassungs- und Unterscheidungsver¬
mögens«1). In welchem Sinne Locke das Wort Identität verstanden
wissen will, ist hiernach völlig klar. Offenbar meint er nichts anderes,
als was wir etwa mit Oonstanz der Begriffe bezeichnen würden; denn
hei Locke sowohl wie hei Hume müssen wir eingedenk sein, dass das
Wort Idee (das ja keinesfalls schlechthin mit »Vorstellung« identisch ge¬
setzt werden darf) auch unserem »Begriff« entsprechen kann. — Auch
dieses geht aus dem Obigen hervor: Locke’s Identitätshegriff ist
kein tautologischer, er bezeichnet also nicht etwa die Identität einer
1) Ibid. IV, eh. 1, § 4.