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D. P. Hänig.
Salzig vermitteln; und dass diese Fasern sich in der Zungenspitze
und in den vorderen zwei Dritteln des Seitenrandes der Zunge ver¬
theilen. « Wenn also die anatomische Forschung unterstützt durch
klinische Erfahrungen1) das Verbreitungsgebiet der bezeichneten Nerven
richtig umgrenzt hat; dann zeugen die vorliegenden Reizschwellen¬
ermittlungen entschieden zu Gunsten der Ansicht, welche dem N.
lingualis — ganz im Sinne der Krause’sehen Angaben — hervor¬
ragenden Antheil an dem Zustandekommen der Geschmacksempfin¬
dungen sichert. So gern man vielleicht aus theoretischen Erwägungen
heraus für den Geschmackssinn wie für die übrigen Specialsinne eine
einzige centripetale Nervenleitung ausfindig gemacht und darum an
dem N. glossopharyngeus als dem ausschließlichen Geschmacksnerv
festgehalten hätte, so muss man doch die Hoffnung auf Bestätigung
eines Ergebnisses, welches Analogieschlüsse vorwegnahmen, in An¬
betracht solcher Erfahrungsthatsachen füglich aufgeben.
Wird somit durch naturwissenschaftliche Betrachtungen im all¬
gemeinen die im psychologischen Laboratorium gewonnene Anschau¬
ung über die räumliche Ausbreitung der Zungenschmeckfläche bestärkt,
so möchte ich noch referirend auf eine anatomische Untersuchung
hinweisen, die eventuell auch die gesteigerte Perceptionsfähigkeit ein¬
zelner Regionen innerhalb des Geschmacksgürtels zugleich mit erklären
könnte. Zander2) und auch Rautenberg3) haben in der Zungen¬
schleimhaut doppelt innervirte Bezirke nachgewiesen. Zu den schon
vor ihnen erkannten Anastomosen der Endverästelungen des linken
und rechten N. glossopharyngeus und des N. lingualis und N. glosso¬
pharyngeus derselben Seite beschreiben die genannten Autoren auch
Anastomosen zwischen den Endverzweigungen des linken und rechten
N. lingualis namentlich in der Zungenspitze. Man könnte ohne
weiteres geneigt sein, die verfeinerte Sensibilität der Zungenspitze,
des mittleren Randdrittels und der Basis mit diesem anatomischen
Befunde in Zusammenhang zu bringen, wenn nicht zugleich der ganze
Medialstreifen der Zungenoberfläche mit zu den doppelt innervirten
Bezirken gehörte, wo erwiesenermaßen gar keine Geschmacksempfin¬
dungen ausgelöst werden. Zander fügt zwar hinzu, dass das Mittel¬
gebiet des Zungenrückens etwa 1 cm von der Spitze ab bis 3 cm vor
1) L. v. Frankl-Hochwart, Ueber die Innervation des Geschmacks. Cen¬
tralblatt f. Physiologie, X, S. 60. 2) a. a. 0. 3) a. a. 0.