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D. P. Hänig.
liclie saure Reize erkennen wollen. Da stellt sich unbewusst eine
Compression der Wangenschleimhaut ein. An der so zwischen die
obere und untere Zahnreihe beiderseitig eingezogenen Wangenschleim-
haut bewegen wir dann die Zunge hin und her. Es muss dabei
auffallen, dass sich diese Zungenreihungsflächen mit jenen Rand¬
regionen decken, welche die maximale Empfindlichkeit für Sauer be¬
sitzen. Für die Bittersensation an der Zungenbasis ist der natürliche
Gegendruck am Palatum molle, Velum und den Gaumenbogen ohne
weiteres gegeben, hei jeder Schlingbewegung macht er sich wirksam
und presst die Reizsubstanz in den Porus ein. Diese Intensitäts¬
steigerung durch den Gegendruck wollen wir eben umgehen, wenn
wir bei Einwirkung stark sauer schmeckender Stoffe den Mund in die
Breite ziehen oder wenn wir den Gaumen heben und die Zunge
hinten möglichst niederdrücken, sobald wir recht widerwärtig bitter
schmeckende Stoffe verschlucken müssen. Anderseits streben wir bei
Süßempfindungen eine Verstärkung der Sensation dadurch an, dass
wir nach Wundt’s1) Beobachtung die Zungenspitze in schwachen
Saugbewegungen den angenehm schmeckenden Stoffen intermittirend
entgegenführen. Wenn aus diesem Zusammenhänge genetisch ver¬
ständlich wird, warum sich gerade die in der Specialuntersuchung
erkannten Zungenregionen den Geschmackseindrücken so besonders
fein adaptiren konnten, so möchte ich kaum eine Vermuthung darüber
wagen, weshalb sich die qualitative Differenzirung gerade in der vor¬
liegenden Reihenfolge und Vertheilung vollzogen hat. Am ehesten
könnte man für die Süßadaptation dem Umstande einen Erklärungs¬
werth beimessen, dass im frühen Kindesalter die saugende Aufnahme
süßer Stoffe überwiegt und dadurch die Perceptionsfähigkeit für
diese Qualität an der Zungenspitze erhöht wird. Für die übrigen
Elementargeschmäcke entbehren wir auch einen solchen wahrschein¬
lichen Erklärungsgrund.
3. Zum Schlüsse werfen wir noch einen Blick auf die physio¬
logische, anatomische und histologische Forschung über den Ge¬
schmackssinn insoweit, als ihre Resultate zu den auf Grund von
Functionsprüfungen erkannten Merkmalen des fraglichen Sinnes
1) Wundt, Physiol. Psychologie, 4. Aufl., II, S. 604. Völkerpsychologie 1,1.
S. 98 — 99. Bemerkungen zur Theorie der Gefühle, Phüos. Stud. XV, S. 166.