614
D. P. Hänig.
Einschränkung auf die intensive Seite der Geschmacksempfindung
innerhalb ein und derselben Qualität einen Sinn haben. Was die
Breitenausdehnung des Geschmacksgürtels anbelangt, so ist schon am
anderen Orte bemerkt worden, dass er an der Spitze und der Zungen¬
basis einen größeren Durchmesser hat als in den lateralen Gebieten.
Individuell schwankt wiederum die Breitenanordnung der schmecken¬
den Elemente auf der Zunge ; die topographische Darstellung konnte
darum nur ein mittleres Bild der Schmeckfläche wiedergehen (Eig. 7).
Die Thatsache der in ihrer Function so verschiedenen Zungenregionen
findet auch in den Untersuchungen über den elektrischen Geschmack
empirische Stützpunkte. Experimente der letzteren Art erfreuen sich,
wie es nach den zahlreicheren Puhlicationen scheinen möchte, für das
fragliche Sinnesgehiet einer großen Beliebtheit. Gegen die unmittel¬
bare Einwirkung mit flüssigen Substanzen gewähren die Beobachtungen
des elektrischen Geschmackes technisch sicherlich nicht zu verkennende
Vortheile. So können dabei z. B. die räumliche Distanz der einzelnen
Geschmackseindrücke sowie der zeitliche Verlauf des Processes wesent¬
lich exacter verfolgt werden. Diesen Vorzügen gegenüber darf man
auch die Nachtheile der genannten Untersuchungsmethode nicht über¬
sehen ; einmal ist die elektrische Beizung unseren täglichen Erfahrungen
im Gebiete des Geschmackssinnes durchaus inadäquat, zum anderen
stehen wir gegenwärtig noch inmitten widerspruchsvoller Interpreta¬
tionen der physiologischen Beizung hei der elektrischen Geschmacks¬
erregung. Oh nun heim sogenannten elektrischen Geschmacke Stammes¬
reizung vorliegt, ob die elektrolytische Theorie Becht hat, oder oh
directe Nervenreizung und indirecte durch elektrolytische Producte
Zusammenwirken, wie Hofmann und Bunzel1) vermuthen, so kann
doch durch die Verschiedenheit in der Auffassung an der Erfahrungs-
thatsache nichts geändert werden, dass die Zungenmitte, wie es bei
Erwachsenen die Begel ist, für keine der vier Geschmacksqualitäten
Empfindlichkeit besitzt; Hof mann und Bunzel fügen dem noch
hinzu, dass sich auch dort kein elektrischer Geschmack erzeugen lässt.
Aus dieser Functionsprüfung kann man demnach mit großer
Wahrscheinlichkeit schließen, dass die Zungenmitte heim erwachsenen
Menschen der geschmackempfindenden Elemente völlig entbehrt.
1) Franz Hofmann und Rudolf Bunzel, Untersuchungen über den elektr.
Geschmack. Pflüger’s Archiv, LXVI, S. 215—232.