Volltext: Zur Psychophysik des Geschmackssinnes (17)

Zur Psychophysik des Geschmackssinnes. 
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Die tägliche Erfahrung bietet uns Geschmacks- und Geruchs¬ 
eindrücke meist derart miteinander verbunden dar, dass nicht nur 
das populäre Bewusstsein, sondern auch die ältere Sinnesphysiologie 
den wirklichen Gesammteindruck als einen durchaus einheitlichen und 
untheilbaren hinnimmt. Als olfactorisches Schmecken oder gustatori- 
sches Riechen, je nachdem der inducirende Reiz vorzugsweise diesem 
oder jenem Sinnesgebiete angehört, hat man die Complication in den 
Kreis wissenschaftlicher Beobachtung gezogen. Dabei sind nun auch 
Erfahrungen gemacht worden, welche auf anderem Wege die Er¬ 
scheinung der hervorragenden Adaptation der Zungenspitze für süße 
Geschmacksreize bestätigen. So bemerkte Rollett1), wenn er mit 
Chloroformdämpfen geschwängerte Luft durch die Nase einzog, im 
Rachen und an der hinteren Fläche des weichen Gaumens neben 
der Kälte- auch eine Süßempfindung; die letztere trat aber viel inten¬ 
siver auf, wenn er das fragliche Reizmittel durch den Mund ein¬ 
schlürfte, sie verdrängte die leise Kälteempfindung, die anfangs noch 
bemerkbar war; ihre Intensität verringerte sich von vorn nach hinten. 
Offenbar hat die größere Deuthchkeit und Klarheit der Süßempfindung 
ihre Ursache darin, dass diesmal die vordere Region der Zunge un¬ 
mittelbar afficirt wurde. Nicht minder wird dieselbe Thatsache durch 
eine dritte Variation des nämlichen Experimentes erwiesen. Rollett 
hielt mittels eines Hornlöffels ein mit Chloroform getränktes Watte- 
bäuschchen freischwebend im geschlossenen Munde ; in dem Momente, 
wo er den Mund öffnete, bemerkte er neben der Kälte- eine rasch 
vorübergehende Süßempfindung, und diese wiederum ganz besonders 
deutlich an den vorderen Theilen der Zunge. Beim Schließen des 
Mundes und der Bewegung des Speichels durch die Zunge tauchte 
die Süßempfindung abermals auf und Rollett fügt ausdrücklich 
hinzu: »Namentlich in den vorderen Partien der Zunge«. 
Die Benennung des Vorganges als olfactorisches Schmecken erinnert 
den Psychologen unwillkürlich an die in ihrer Bedeutung so vielfach 
überschätzte Erscheinung der Audition colorée. Eine Parallele zwischen 
beiden würde bereits erschöpft sein in dem Hinweise, dass es sich 
hier wie dort um eine Complication zweier disparater Qualitäten- 
1) Rollett, Beiträge zur Physiologie des Geruchs, des Geschmacks, der • 
Hautsinne und der Sinne im allgemeinen. Pflüger’s Archiv LXXIV, S. 383— 
465. 1899.
	        
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