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D. P. Hänig.
werden. Der Realisirung dieser Absichten stellten sich jedoch sofort
Hindernisse in den Weg. Schon der Eeichthum der zugängigen
Geschmackspapillen würde zu einer einmaligen Durchprüfung an einem
Reagenten eine Versuchsfülle erfordern, die, abgesehen von techni¬
schen Schwierigkeiten, lediglich in ihrem Umfange der Umsicht des
Versuchsleiters und der Nachsicht des Beobachters schier unüber¬
windliche Zumuthungen auferlegte. Dabei ist noch gar nicht einmal
bedacht, dass erst durch mannigfache gleichwerthige Wiederholungen
der Experimente die erforderliche Grundlage für allgemeine Folgerun¬
gen zu gewinnen ist.
Nun kommt noch hinzu, dass die Zunge nach Form und Größe
gleichsam ein variables Organ ist, das sich nicht wie die Netzhaut
als geometrisch constantes Gebilde behandeln lässt. Auch muss der
Psycholog des Geschmackssinnes auf Erleichterungen verzichten, wie
sie in der Fernewirkung des Auges ihren Grund haben. Am Peri¬
meter kann man gewissermaßen makrokosmisch die betreffenden Ver¬
suche ausführen, die man durch Berechnung der entsprechenden
Netzhautbilder mikrokosmisch verwerthen kann. Der Geschmackssinn
ist aber in des Wortes engster Bedeutung ein Nahesinn. Bei Schmeck¬
versuchen muss der Experimentator die Reize durch unmittelbare Be¬
rührung auf das Organ bringen, und noch dazu mit groben Instru¬
menten. Nach alledem wird von einer Feinheit der Versuchsführung
wie in der Erforschung des chromatischen Sehens in den verschiede¬
nen Regionen der Netzhaut in dem vorliegenden Sinnesgebiete nicht
die Rede sein können. Gleichwohl haben diese Vorerörterungen den
Gang der Untersuchung dahin bestimmt, dass die Endergebnisse der
Reizschwellenermittlung neben anderem auch einen graphischen Aus¬
druck gefunden haben, wenn auch nicht in Form eines Liniensystems,
so doch in einem punktuellen schematischen Bilde ähnlicher Art, wie
durch ein solches die politische Geographie die Bevölkerungsdichtig¬
keit der einzelnen Landschaften darzustellen pflegt.
Jede Versuchsreihe der Schwellenermittlung ist gleich in der
Weise vorgenommen worden, dass jedes Protocoll eine directe Vor¬
arbeit für die letzte Zusammenstellung enthielt. Dazu entwarf ich
mir von der mäßig vorgestreckten Zunge der Versuchsperson eine
Oontourenzeichnung wie in Fig. 1. Allerdings weichen die Zungen
der verschiedenen Reagenten nach Volumen und Gestalt merklich