Ueber binaurales Hören.
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die Grenze der Schnelligkeit hei vertheilten Gabeln, wo noch Schwe¬
bungen gehört werden können, ermittelte Stumpf in der großen Oc¬
tave 16—20 Schwebungen, das entspreche der großen Terz in der
unteren, der kleinen in der oberen Hälfte der Octave; in der kleinen
Octave 32—40 Schwebungen, was demselben Intervalle gleichkommt.
In der eingestrichenen Octave lag die obere Grenze hei etwa 50
Schwebungen, das entspreche der kleinen Terz in der unteren, dem
Ganzton in der oberen Hälfte der Octave; in der zweigestrichenen
Octave hei etwa 70 Schwebungen, was einen Ganzton in der unteren
Hälfte, einen Halbton in der oberen Hälfte der Octave bedeutet.
In der dreigestrichenen Octave sind die Schwebungen vertheilter
Gabeln in allen Fällen nur undeutlich und schwer wahrnehmbar.
Zwei Erscheinungen, die beim binauralen Horen keine Veränderung
erleiden, sind dagegen, wie Stumpf beobachtet hat, die Verschmel¬
zung der beiden Töne und die Dissonanz. Ueber die Verschmelzung
sagt er: »Endlich werden Schwebungen bei Vertheilung zweier Stimm¬
gabeln an beiden Ohren gegenüber der einohrigen Perception be¬
deutend geschwächt, unter Umständen bis zur Unmerklichkeit, der
Verschmelzungsgrad der Töne erleidet aber durch diese Zu¬
leitungsform keine Aenderung«. Wir werden Gelegenheit haben,
über diesen Punkt eingehender zu sprechen, wenn wir die Ergebnisse
der eigenen Versuche mittheilen.
Was die theoretische Interpretation anlangt, so sagt Stumpf, dass
die Verlegung der Entstehung der binauralen Schwebungen ins Ge¬
hirn nur das Verständniss hinausschiebe. Die Annahme der Knochen¬
leitung empfiehlt sich nach ihm aber nicht nur aus diesem allgemeinen
methodischen Grunde, sondern sie mache auch die Abschwächung
und andere qualitative Modificationen begreiflich.
Dies gibt uns Veranlassung, noch auf einen weiteren wichtigen
Punkt einzugehen. Bereits 1875 hat Le Boux1) behauptet, dass
eine stark tönende Gabel, wenn man sie vor einem Ohre vorbei-
führe, den Ton einer anderen gleichgestimmten Gabel, die aber
wegen des Abklingens nicht mehr hörbar sei, vor dem anderen
Ohre wieder hörbar mache. Urbantschitsch bestätigte diese An-
ga.be und fand weiterhin, dass selbst ein tiefer Ton rechts einen
1) Gazette hebdom. de Méd. et Chirurgie, 1875, No. 19, p. 293.