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G-ino Melati.
»Während die eine Gabel dicht vor dem Ohr tönt, schließe man den
gegenüberliegenden Gehörgang mit dem Finger. Wenn nun irgend-
welche Kopfknochenleitung vorhanden wäre, so müsste der Ton in
diesem Falle sehr stark im geschlossenen Ohre gehört werden«. Hier¬
gegen erhob Schäfer1) den Einwand, Scripture habe die Erscheinung
der »physiologischen Taubheit« nicht beachtet. »Hält man von zwei
genau unisonen Stimmgabeln die eine an das rechte Ohr, die andere
an das linke, und tönt dabei erstere lauter, so wird der Ton rechts
gehört. Das linke Ohr ist physiologisch taub, übernimmt jedoch so¬
fort die Tonwahmehmung, wenn die Gabel rechts durch Dämpfung
zur lauter tönenden gemacht wird«. Es enthalte also Scripture’s
Versuch in keiner Art einen Beweis gegen die Knochenleitung. —
In seiner Replik gegen Schäfer wandte sich dann Scripture2) gegen
den Begriff der »physiologischen Taubheit«. In der That ist zuzu¬
gehen, dass dieser Terminus wenig glücklich gewählt ist, denn that-
sächlicli findet eine Erregung des Sinnesorganes in durchaus normaler
Weise statt, und sie kommt auch für die Empfindung zur Geltung.
Was hier vorliegt, ist eine Frage der Localisationstäuschung, und
diese Localisationstäuschung hat deshalb, wie es scheint, den Kamen
physiologischer Taubheit erhalten, weil sie im wesentlichen in der¬
selben Weise entstehen würde, wenn das eine Ohr taub wäre. Immer¬
hin bleiben gegen die Beweiskraft von Scripture's Beobachtungen
Bedenken bestehen. Ebenso lässt sich von den Versuchen von
Cross und Goodwin3) nicht sagen, dass bei ihnen die Knochen¬
leitung mit Sicherheit ausgeschlossen war. Denn ein Beweis dafür,
dass eine Schallübertragung auf die. Kopfknochen von den Zähnen
aus leichter sei, als vom peripheren Gehörapparat selbst, liegt
nicht vor.
Anderseits ist freilich Schäfer's Hypothese, unterminimale Erre
gungen könnten sich im Acusticusendorgan derart summiren, dass
dadurch ehenmerkliche Empfindungen entstehen, und eine solche
Summirung könne durch die Knochenleitung zu Stande kommen,
1) Vergl. Schäfer, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sii®e
organe, IV, S. 250.
2) Scripture, Philos. Stud. VIII, S. 638. ,
3) Cross and Goodwin, Proc, of the American Acad, of Arts and Scie
XXVII, 10. 1891.