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Wilhelm Wirth.
Verschiebung nach der Complementärfarbe der ursprünglich fixirten
Farbe bedeuten. Ebenso wie die Verschiebung des Farben-Inten-
sitäts-Nachbildes (d. h. also des Nachbildes der Farbe neben
Schwarz) im Sinne der Ermüdung einer proportionalen Verschiebung
auf der Linie nach dem Intensitätsnullpunkte zu entspricht, würde
das reine Farbennachbild für alle beliebigen Farben eine proportio¬
nale Verschiebung innerhalb derjenigen Linie des Farbencontinuums
bedeuten, die alle möglichen Farbentöne gemäß ihrer phänomenalen
Verwandtschaft mit einander verbindet und zu einem in sich kreis¬
förmig geschlossenen Continuum umschließt. Die Veränderung der
bei der Entstehung des Nachbildes selbst betheibgten Farbe wäre
nur ein Specialfall dieser das ganze Farbensystem proportional er¬
greifenden Verschiebung nach dem Complemente der ursprünglich
fixirten Farbe bin.
Ohne dass aus einer Widerlegung dieser Auffassung der
quantitativen Verhältnisse negativer Farbennachbilder ein Schluss
gegen eine Theorie gezogen werden könnte, welche jene innere Ab¬
geschlossenheit des Farbensystemes besonders betont, würde ich doch
bei fernerer Bestätigung dieser Versuche einen neuen Beweis
für die Annahme einer in sich geschlossenen, einheitlichen
physiologischen Grundlage für das ganze System der
Farbenempfindungen erblicken, wie sie bisher nur in den
Grundgedanken der Wundt’sclien Periodicitäts- oder Stufen¬
theorie vorausgesetzt ist1).
1) Vom rein phänomenalen Standpunkte aus wäre natürlich auch gegen die
Annahme eines proportionalen Anwachsens der complementären, positiv bei¬
gemischten Erregung nichts einzuwenden, abgesehen von der Erhaltung der Ge-
sammtintensität, die doch nicht so ganz unabhängig vom absoluten Maß der that-
sächlichen Farbenwerthe gelassen werden kann. Nur wäre jedenfalls die Erklärung
eine viel weniger einheitliche, wie es eben bei jeder Zerreißung der Einheit des
Farbensystems in seiner physiologischen Grundlage gegeben ist. Die Erklärung
des negativen Nachbildes, das eine phänomenale Verschiebung nach der Com¬
plementärfarbe bedeutet, aus einer complementären positiven »Beimischung« wäre
als ein Ueberrest derjenigen Auffassung zu betrachten, welche der physikalischen
Mischung der Reizqualitäten, die bestimmten subjectiven Ergebnissen entsprechen,
eine »Mischung« der subjectiven Momente analog setzt, wie z. B. die »Mischung«
der »Weißerregung« aus drei Grunderregungen. Nur würden eben hier der
Mischung der Reizqualitäten behufs subjectiver Ausgleichung des Nachbild
effectes solche »subjective Mischungen« parallel gesetzt sein. Vielleicht hand