Zur Theorie der Combinationstöne.
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Grundton, ist zu diesem Zweck unentbehrlich«. Die Obertöne ver¬
stärken nach Pipping nicht, wie Seebeck meinte, den Grundton, son¬
dern den Gesammtklang. Diese neue Theorie der Klangauffassung
wird ohne weitere Erklärung hingestellt und durch Pipping’s Beispiele
meines Erachtens nicht ausreichend unterstützt. Aber Pipping selbst
weist einige Male, wenngleich zaghaft, auf den Factor hin, der mil¬
der wesentliche und entscheidende zu sein scheint: selbst da, wo man
aus einem zusammengesetzten Klange den Grundton objectiv besei¬
tigt, ist dieser Ton jederzeit als Differenzton mehrfach vorhanden,
denn alle aufeinander folgenden Obertöne stehen paarweise um seine
Schwingungszahl von einander ab. Pipping unterscheidet zu wenig
das Resultat der physikalischen Klanganalyse von der thatsächlich
wahrgenommenen Empfindungsstärke der Theiltöne. Die dem Grund¬
ton entsprechende objective Schwingungscomponente kann eine sehr
geringe Amplitude besitzen, ja vielleicht ganz fehlen, und doch der
entsprechende (gleich hohe) Differenzton in Folge seiner Vervielfälti¬
gung und als tiefster Ton des Klanges für die Empfindung der
stärkste Theilton sein.
Auf ähnliche Weise erklärt sich das Ergebniss des bekannten
Versuches, den ein Freund Ohm’s nach dessen Aufforderung anstellte
(16, 16). Er strich auf der Violine einen Ton (n) und dessen Octave
(2n) zugleich an und ließ danach plötzlich n oder 2 n allein erklin¬
gen. Der höhere Ton schien, wenn er allein übrig blieb, stärker
zu werden. Der tiefere dagegen war in diesem Palle »recht fühlbar
geschwächt«. Ich habe das Experiment an verschiedenen Instru¬
menten mit dem gleichen Erfolge wiederholt. Das Stärkerwerden
von 2 n begreift man am einfachsten durch die gewöhnliche Erfahrung,
dass im Zusammenklange jeder Theilton jedem anderen etwas von
seiner physiologischen und psychologischen Energie raubt. Die viel
deutlichere und erstaunliche Ahschwächung des allein zurückbleiben¬
den Grundtones aber beruht zweifellos darauf, dass im Zusammen¬
klange mindestens ein Differenzton Dt (— Bi = T)i etc.) verstärkend
mit ihm zusammenfällt. Sie ist sofort geringer, ja bald unmerklich,
wenn man die beiden Octaventöne unrein wählt. Auch dies hebt
bereits Ohm hervor (16, 17); er lässt jedoch den völlig zureichenden
Factor der Differenztöne außer Betracht und hricht die ganze Erör-
terung kurz ab, weil er hier »wie der Blinde von der Farbe« rede.