Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes.
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unrichtig, sondern nur so unpraktisch, dass Niemand sie im Ernste
der umgekehrten Bezugnahme vorziehen wird. Es sei mir gestattet,
bei diesem Beispiele, zum letzten Male, auf Gegengründe Bezug zu
nehmen. Man könnte gegen die Bewegung der Welt um den Tan¬
zenden zweierlei Einwände erheben, welche auf den ersten, aber
auch nur auf den ersten Blick viel Gewicht zu haben scheinen.
Erstens: Wie ist es möglich, dass der Tänzer durch seine geringe
Muskelkraft die ungeheure Masse der Welt um sich herumwälzt ?
Nach dem Princip von der Erhaltung der Flächen müsste doch er
seihst dadurch in eine unendlich viel geschwindere Umdrehung ge-
rathen ! Man vergisst hier, dass das Princip von der Erhaltung der
Flächen sich auf ein Inertialsystem bezieht und nur insoweit, als es
dies thut, auf Wahrheit beruht: Niemand behauptet ja, dass der
Tänzer inertiell-ruhig bleibe und die Welt in Inertialdrehung versetze 1
Zweitens: Zugegeben, der Tanzende könne die Erde in Rotation
um sich versetzen, wie sollte sich diese Bewegung auf die übrigen
Himmelskörper übertragen? Dazu müsste doch die Schwungkraft
der Erde auf dieselben übertragen werden, was durchaus eine mate¬
rielle Verb in dung zwischen Erde und Himmelskörpern voraussetzen
würde, welche ohne Zweifel nicht besteht ! Man vergisst hier, dass
nur der Uehergang aus der Inertialruhe in die Inertialdrehung, nicht
aber der Uehergang aus der Ruhe in die Bewegung schlechthin Kraft
erfordert. Sobald man sich dies vergegenwärtigt, fällt es einem ge¬
radezu wie Schuppen von den Augen und man erkennt aufs klarste
die Haltlosigkeit des zweiten gegen die Reciprocität der »Bewegung«
soeben erhobenen Einwandes. Ganz ähnlich steht es nun mit allen
derartigen Einwänden, wie sie sich uns wohl gelegentlich aufdrängen
können, wenn wir vorübergehend einmal unser Fundament aus dem
Auge verloren haben. Sobald wir einen solchen Einwand ernstlich
prüfen, entdecken wir auf einmal die alte ewige petitio principii da¬
rin, welche infolge der Nachwirkung des trivialen Bewegungshegriffes
anfänglich unseren Blicken verborgen blieb.
Kehren wir nach dieser Abschweifung zur Exposition der mecha¬
nischen Fundamente zurück. Als zweite grundlegende Definition der
Mechanik ist diejenige des Inertialsystemes, als dritte diejenige
der Inertialzeitscala aufzustellen; beide Definitionen sind, wie
kaum gesagt zu werden braucht, mit dem Ausspruche des Beharrungs-