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Ludwig Lange.
liegt. So gehen, um nur zwei der wichtigsten Beispiele an¬
zuführen, sowohl Kant als auch Euler von ihr aus und
legen sie ihren ferneren Untersuchungen zu Grunde.
Wenn sie nun im Weiteren dennoch von ihr abweichen, so thun sie es
nur aus Anlass besonderer Umstände, nämlich gewisser angeblich
unvermeidlicher Widersprüche , in welche man durch den Gebrauch
jener Definition verwickelt werde. Diese Widersprüche aber
existiren, wie gezeigt worden ist, in Wirklichkeit gar
nicht, und wenn man zur Ergänzung des allgemeinen Bewegungs-
begriffes die Begriffe des Inertialsystemes, der Inertialzeitscala, der
Inertialdrehung und der Inertialruhe einführt, so wird dadurch aufs
sicherste jeder falschen Anwendung des allgemeinen Bewe¬
gungsbegriffes vorgebeugt, welche den Schein innerer Wider¬
sprüche desselben nach sich ziehen könnte. Die metaphysischen
Voraussetzungen des realen absoluten Raumes und der realen abso¬
luten Bewegung werden durch diese neuen Begriffsbestimmungen in
allen ihren für die Mechanik bedeutsamen Functionen vollkommen
ersetzt und überflüssig gemacht.
Als grundlegende Definition der Mechanik hat darnach die fol¬
gende zu gelten :
Bewegung ist die Veränderung der relativen Lage zu
irgend einem gegebenen Bezugskörper oder auch zu ir¬
gend einem bloß vorgestellten Bezugssysteme.
Bei Urtheilen über die Bewegung eines Dinges ist also, um Miss¬
verständnissen vorzubeugen, Angabe des Bezugskörpers oder Bezugs-
systemes erforderlich ; ausgenommen sind nur solche Fälle, wo durch
den Zusammenhang der Rede oder sonst irgendwie jeder Zweifel über
die Bezugnahme von vornherein ausgeschlossen ist.
Nach dieser Principiensetzung fällt die altherge¬
brachte Unterscheidung zwischen »wahrer« und »schein¬
bar er« B ewe gun g als gänzlich grundlos und überflüssig
hinweg. Die tägliche Umdrehung des Firmamentes um die Erde ist
genau eben so wirklich, als die tägliche Rotation der Erde, wie
sie Copernicus lehrt. Ja sogar die Umwälzung der Erde und des
Weltalls um den Körper eines Tanzenden ist durchaus kein bloßer
Schein, sondern vielmehr eine unbestreitbare Erfahrungs¬
tatsache. Die Bezugnahme auf den Tanzenden ist keineswegs