Die geschichtliche Entwickelung des Bewcgungsbegriffes. 645
durch welche er die Annahme einer absoluten Bewegung wissenschaftlich
zu begründen versuchte, s’ Gravesande in seinen weit verbreiteten
»Elementa physices« (zweite Auflage 1742) nimmt das Newton’sche
Dogma ohne Begründung und ohne Kritik an. d’Alembert kommt
in seinem »Traité de Dynamique« auf die ganze fundamental wichtige
Frage nicht zu sprechen, und auch Lagrange übergeht sie in seiner
sonst so tiefdringenden »Mécanique analytique« einfach mit Stillschwei¬
gen. Carnots Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Be¬
wegung ist die gewöhnliche inhaltslose.1) Laplace lässt es wenig¬
stens dahingestellt, oh der absolute Raum als real oder als ideal zu
betrachten sei, gibt aber dann durch eine ontologische Begründung
des Trägheitsgesetzes den Beweis, dass er sich der Tragweite der Frage
nicht klar bewusst ist.2)
Poisson macht auf die gänzliche Unerkennbarkeit der absoluten
Bewegungen aufmerksam,3) was aber auch ihn nicht hindert, das
Trägheitsgesetz so zu begründen, dass es für jede relative Bewegung
gleich gut gelten würde, wenn der Beweis richtig wäre. Auf derar¬
tige verfehlte Begründungsversuche, wie sie sich auch bei d’Alembert
und Anderen vorfinden, komme ich bei Euler näher zu sprechen.
Coriolis definirt die absolute Bewegung als eine solche in Bezug
auf »feste Punkte«.4) Das Gehl er’sehe »Physikalische Wörterbuch«
lehrt nach einer ganz zutreffenden Kritik der Begriffe »Absoluter Ort«
und »Absolute Bewegung« (Artikel Bewegung Bd.I. S. 915 ff.) Folgen¬
des: »Es ergibt sich sonach gleichsam von selbst, dass man bei.der
Bestimmung des Begriffes der absoluten Bewegung nicht allzu ängst¬
lich an der Bedeutung des Ausdruckes: absoluter Ort, und dessen
Veränderung hängen darf, indem sie vielmehr auf dem Gegensätze
gegen relative Bewegung beruht. Hiernach besteht also, wie Hutton
(Dictionary II. 73) richtig angibt, die absolute Bewegung in der Ver¬
änderung des einen Ortes und dem Uebergange in einen anderen,
wenn man sowohl jenen als auch diesen absolut und ohne ihr Ver-
hältniss (ihre Relation) zu einem dritten Orte oder Gegenstände be-
1 ) Principes fondamentaux de l’équilibre et du mouvement. § 24.
2) Mécanique céleste. Tome I. Part. I. Livre I. Ch. I. p. 3. (1799).
3) Traité de Mécanique, IIiôme éd. 1833. Tome I. p. 1.
4) Traité de la Mécanique des corps solides, Ilième éd. 1844.