Volltext: Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes und ihr voraussichtliches Endergebniss, Schluss (3)

Die geschichtliche Entwickelung des Bewegungsbegriffes. 
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Aber selbst wenn es wahr wäre, dass die beiden Annahmen der 
Bewegung des Körpers und der Bewegung des Baumes sich wegen 
ihrer Verschiedenheit ausschlössen, so wäre Kants Schluss auf die 
Wirklichkeit der Bewegung des Körpers und die Scheinbarkeit der 
Bewegung des Raumes nicht einwurfsfrei. Warum sollte man nicht 
das Verhältniss umdrehen können? Nach Kants Erwägungen ist 
gar nicht abzusehen, warum nicht vielmehr die Bewegung des Rau¬ 
mes als wirklich und die des Körpers als scheinbar zu betrachten 
sei ! Um in dieser Richtung zu einer Bestimmtheit der Auswahl zu 
gelangen, müsste man die Bewegung etwa als etwas specifisch Dyna¬ 
misches definiren, und dies hat am allerwenigsten Kant gethan. 
Sonderbarer Weise übersieht er obenein völlig, dass er auch die ge¬ 
radlinige Bewegung, sofern sie nämlich ungleichförmig ist, unter die 
gleichen Gesichtspunkte hätte stellen müssen , wie die krummlinige : 
die dynamischen Kriterien sind doch hier und dort dieselben. Spä¬ 
tere Philosophen haben in dieser Richtung eine größere Consequenz 
geübt. *) 
In einer kleinen Anmerkung zu dem soeben besprochenen Lehr¬ 
satz 2. beruft sich Kant auf Newton: »Uebrigens kann Newtons 
Scholium zu den Definitionen, die er seinen Princ. Philos. Nat. Math, 
vorausgesetzt hat, gegen das Ende, hierüber nachgesehen werden, 
aus welchem erhellt,.......dass also eine Bewegung, die eine 
Veränderung der äußeren Verhältnisse im Raume ist, empirisch ge¬ 
geben werden könne, obgleich dieser Raum selbst nicht empirisch 
gegeben und kein Gegenstand der Erfahrung ist, welches Paradoxon 
aufgelöset zu werden verdient«. 
Kant gibt also, so scheint es hierauf den ersten Blick, wenn 
auch widerstrebend, doch absolute Bewegung als Gegenstand der 
Erfahrung zu, im Widerstreit gegen die oben citirte Behauptung, 
dass die absolute Bewegung »für uns Nichts« ist. Inwieweit dieser auf 
1) So beschränkt J. Fr. Fries das Gesetz der Reciprocität auf die geradlinige 
und gleichförmige Bewegung, worin sich ihm E.F. Apelt anschließt. Man vgl. 
Fries, Die mathematische Naturphilosophie, Heidelberg 1822. S. 422f. System der 
Metaphysik 1824. S. 370. Apelt, Metaphysik 1857. S. 555 ff. Vom absoluten 
Raume hält Fries ebenso wenig wie Kant, ich meine, vom absoluten Raume 
Newtons.
	        
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