592
Alfred Köhler.
und ihre Operationen geometrisch gedeutet worden sind, kann man
in keiner Weise dieselben als unmöglich bezeichnen.«
In diesen Worten ist klar ausgedrückt, worauf es ankommt; eg
handelt sich nämlich um die rein formale., logische Gültigkeit einer
Größe, einer Zahl einerseits, und um ihre reale Existenz andrerseits
Rein logisch, rein mathematisch betrachtet ist nun offenbar das Nega¬
tive, die negative Größe nicht unmöglich, also auch nicht die nega¬
tive Empfindung, und hiernach fällt sehr einfach der früher erwähnte,
rein theoretische Einwand Langer’s, dessen Unhaltbarkeit ich schon
auf anderem Wege dargelegt habe. Es fragt sich nun aber, ob der
negativen Empfindung in diesem rein logischen Sinn ein Substrat im
Gebiet des Realen oder des in der Anschauung Wirklichen entspricht.
Fechner würde mit »ja« antworten; denn er hat ja seinen negativen
Empfindungen eine Bedeutung untergelegt. Ich finde indess eine so
unbedingt bejahende Antwort bedenklich; denn die von Fechner
den negativen Empfindungen beigelegte Bedeutung ist eben nur eine
Auslegung im wahren Sinn des Wortes; ihr selbst entspricht nichts
Reales, weil, wie Delboeuf ganz richtig bemerkt, die negative Em¬
pfindung a priori nichts Reales ist.
Hören wir noch, was Harnack im seiner »Differential- und In¬
tegralrechnung« (Leipzig, 1881) S. 4. über diesen Gegenstand sagt:
»In der Natur existiren für sich betrachtet weder positive noch nega¬
tive Zahlen ; es existiren nur zählbare Dinge. Die Unterscheidung
von positiven und negativen Zahlen — Bezeichnungen, die nur im Ge¬
gensatz zu einander verstanden werden können — hat auch nur für
die Operationen des Addirens und damit für alle anderen Rechnungs¬
operationen eine Bedeutung. Bei Anwendung der Rechnung auf phy¬
sikalische Probleme ist es aber häufig sehr zweckmäßig, Größen, mit
denen gerechnet wird, im Sinne der positiven und negativen Einheit
zu unterscheiden.« Daraus geht hervor, dass das Negative sowohl wie
das Positive wirkliche Größen bezeichnen, die sich in ihrer Art durch¬
aus nicht unterscheiden, die vielmehr nur durch einen der Zweck¬
mäßigkeit entsprechenden Punkt getrennt sind. Die positive Lime
ist eine Linie, und die negative Linie ist ebenfalls eine Linie, ohne
dass ihr erst diese Bedeutung beigelegt wird. Nicht ebenso ist die ne¬
gative Empfindung mit der positiven etwas Gleichartiges.
Da nach Obigem das Positive und Negative immer nur einen