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Alfr. Lehmann.
Prof. Wundt übernahm ich deshalb im Herbste 1885 in seinem
psychophysischen Laboratorium die Ausführung einer Reihe von
Untersuchungen, welche den Zweck hatten, die Brauchbarkeit der
Methode der mittleren Abstufungen für den Lichtsinn zu bestimmen.
Die einleitenden Versuche zeigten sofort, dass die von Delboeuf
getroffene Anordnung unmöglich genaue Resultate geben konnte.
Wenn man, wie es Delboeuf gemacht hatte, die drei Flächen, deren
Helligkeit verglichen werden soll, als drei unmittelbar an einander
grenzende concentrische Ringe darstellt, so entsteht an den Berüh¬
rungslinien ein starker successiv-simultaner Contrast. Man sieht in
Folge dessen nicht drei, sondern sechs bis acht Ringe verschiedener
Helligkeit. Diese Schwierigkeit ließe sich möglicher Weise überwin¬
den, indem die Breite der drei Ringe hinreichend groß genommen
würde. Bei einer Breite aber von 5 cm für jeden Ring — größere Ra¬
dien konnten wir wegen der Construction unserer Rotationsapparate
nicht prüfen — war es uns noch unmöglich sicher zu schätzen, wenn
der Beobachter 2 m Entfernung vom Apparate hatte. Es bildete sich
dann nur ein ganz schmaler, scheinbar contrastfreier Ring, welcher
die vom Grenzcontraste herrührenden Ringe von einander trennte,
indem die Breite der letzteren ungefähr 2 cm war. Vorausgesetzt, dass
der Grenzcontrast immer eine solche Ausdehnung hat, dass er unter
einem bestimmten Gesichtswinkel gesehen wird, so musste er sich
also bei den Delboeuf’sehen Versuchen, bei welchen der Beobach¬
ter wahrscheinlich 1 m vom Apparate entfernt war, *) 1 cm von beiden
Seiten über die Ringe hineinziehen. Die D elb o euf’schen Ringe waren
aber nur 2,3 cm breit,1 2) und sind also vollständig vom Grenzcontraste
gedeckt worden. Wie es unter solchen Umständen den Beobach¬
tern möglich gewesen ist, sicher zu schätzen, ist mir eigentlich ein
Räthsel.3)
Zu der Schwierigkeit, die der Grenzcontrast immer, selbst bei
einer hinreichenden Breite der Ringe, bereiten muss, kam noch ein
1) Die Entfernungen der Beobachter sind durchgängig nicht angegeben,, nur
pag.“70 der angeführten Schrift ist eine solche hervorgehoben, welche für die meisten
Fälle Gültigkeit zu haben scheint.
2) Étude psychophysique pag. 53.
3) Ich werde jedoch gelegentlich unten eine Erfahrung hervorheben, welche
möglicher Weise die Sache erklären kann.