Der Entwickelungsgang der Leibniz’schen Monadenlehre bis 1695.
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in metaphysischer Beziehung aus diesen dynamischen Thatsachen zu
folgern, dass das Constante, Beharrende, also Substantielle in den
Körpern ihre Action sei, mit anderen Worten, dass Action und Sub¬
stanz Wechselbegriffe sind. Und diese Folgerung war in der That der
entscheidende Schritt in der positiven Bestimmung des Leibniz’sehen
Substanzbegriffes.
Zweites Capitel.
Substantialisirung des Kraftbegriffes,
Die erste literarische Einführung des Kraftbegriffes als des¬
jenigen, durch welchen die Substanz ihrem eigentlichsten Wesen nach
ausgedrückt und gekennzeichnet werden soll, geschieht in einem Auf¬
sätze , den Gerhardt neuerdings im handschriftlichen Nachlasse Leib¬
niz’ gefunden oder, genauer gesagt, noch einmal gefunden hat, und
dessen Abfassung er, wie uns scheint, mit Hecht in die Zeit um das
Jahr 1680 setzt.1)
1) Monatsberichte der Berl. Akad. d. Wissensch. 1880. S. 824 ff. Der in Frage
stehende Aufsatz findet sich daselbst unter »I« S. 827—831 abgedruckt. Es stimmt
aber derselbe wörtlich überein mit opus XXIV bei Erdmann (p. 109 sq.),
welches die von Erdmann herrührende Überschrift De vera methodo phi-
losophiae et theologiae führt (cf. praef. XVII) und daselbst zwischen die Jahre 1690
und 1691 gestellt ist. Erdmann’s Annahme der Abfassungszeit konnte allerdings so
lange begründet scheinen, als Leibniz’ Briefwechsel mit Arnauld und der Discours
deMétaphysique noch nicht von Grotefend aufgefunden und veröffentlicht war. Nach¬
dem aber durch diese inzwischen erfolgte Veröffentlichung sich gezeigt, dass bereits
1686 (Disc, de Mét.) die Grundzüge des Leibniz’schen Systems vollkommen ausge¬
bildet waren, kann zunächst als sicher gelten, dass der hier fragliche Aufsatz, in
welchem der Leibniz’sche Substanzbegriff sich erst angedeutet, und zwar nur nach
dem einen Momente desselben, nämlich nach der Gleichsetzung von Substanz und
Kraft, und noch nicht nach dem zweiten, den eigentlichen Kern der Monadenlehre
ausmachenden Moment der Gleichsetzung von Substantialität und Individualität be¬
urkundet findet, jedenfalls vor 1686 geschrieben sein muss. — Die Gründe, welche
Gerhardt für seine Annahme der Abfassungszeit geltend macht, sind hauptsächlich
den damaligen persönlichen Verhältnissen Leibniz’, wie sie aus seiner Stellung an
einem katholischen Hof sich ergaben, entnommen. Es ist aber doch mehr der Ge¬
dankeninhalt des Aufsatzes selbst, sein inneres Verhältniss zu den vielen Entwürfen
und Ausführungen der vorangehenden und folgenden Jahre, welche uns die Gerhardt’-
sche Annahme der Abfassungszeit wahrscheinlich machen. Einen gewissen Anhalts¬
punkt bietet uns auch der Umstand, dass Leibniz im Eingänge auf einige »merkwür-
dlge (mathematische) Lehrsätze« hinweist, zu denen er gelangt sei, während sie An-
wundt, Philos. Studien. III. 29